Böse Frauen

Verbrecherinnen

Verbrecherinnen im Hotel. VerbrecherInnen müssen wir im Innen aufspüren, wo sie Kontakt zueinander aufnehmen – das wuszte noch Prof. Hans von Hentig mit seinem Gewährsmann, einem Hoteldetektiv. Hentigs phantastische Wissenschaft ist Rat-gebend für einen Prozesz gegen zwei Frauen in den 1970er Jahren.

1. Das Hotel – eine Geschichte aus den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts

Das Hotel, das Gericht, das Gefängnis.
Das Hotel ist zweideutig von Anfang an, wo tiefe Teppiche täuschen, wo die Hausdame jedem ein Lächeln schenkt, wo man unter falschem Namen leihweise einen Schlüssel oder eine Chipkarte bekommt, wo Menschen Phantasieuniformen tragen (aber was wären keine?), wo die weichen King-Size-Betten – die Betten und Bäder haben in den letzten Jahren viel Raum erobert – eine Gummihaut zwischen Matratze und Laken tragen. Von diesen Betten kann man herabrutschen, herunterrollen. Ähnelt es nicht einem Schiff? Ein Hotel geht nicht unter. Die Rede ist nicht von Billigketten-Hotels, von Schlafverrichtungs-Boxen, die sich ihrer Verwechselbarkeit rühmen. Auch nicht von Touristen und nicht von Pfennigfuchsern. Zurück in die Hotelflure, eine andere Farbgebung hat jede Etage, damit der Weg von der Bar zurück ins Zimmer keine Mühe bereitet. Hier eine Abfolge von Seerosen nach Monet, in der Dämmerung über dem Teich glühen die Blüten-Placken schwefelfarben, das violette Wasser saugt die Spiegelung der Weiden am Ufer auf.

Gestern muszte ein Gast, ein Stammgast übrigens, um kein Aufsehen zu erregen, eingehüllt in ein Laken im Wäschecontainer zwischengelagert und dann in den Keller gerollt werden. Dort warteten empörte Krimialpolizisten. Die Hausdame muszte den Direktor holen, der ihnen nichts anderes versicherte, nämlich, dasz das Haus seit fast 150 Jahren für Diskretion stünde und nicht die Absicht habe, seinen Ruf wg. eines kleines Zwischenfalls zu riskieren.

Das Hotel ist von Anfang an zweideutig. Und was ist das Ende?

Das Hotel ist von Anfang an zweideutig. Und was ist das Ende?
Die Wege führten, vorbei an bunten Cocktailpartys, grauen Empfängen und weiszen Bällen vor die Schranken des Gerichts und in Kerker und Verwahranstalt. Dies in der Vergangenheitsform, da wir nur über Abgeschlossenes erzählen können. In diesem Falle ist es auch besser so: Das Verbrechen züngelt und zündelt, es leckt und lockt. Wir haben und tun Recht, eine Linie zu ziehen. Verbrechen kommt von Recht brechen. (Lat. crimen, im Deutschen seit dem 18. Jahrhundert gebräuchlich.)

Das Foyer des Hotels könnte Ort der Kontaktaufnahme, der Anbahnung und der romantischen Stell-Dich-eins sein. In der Möglichkeitsform, da wir von Verbrecherinnen erzählen, wir beginnen im Innen, das offener nicht sein könnte. Als Quelle dient uns Prof. Hans von Hentigs Studie „Die Kriminalität der lesbischen Frau“ aus dem Jahre 1959. Der Kriminologe Hans von Hentig (1887 bis 1974, politisch oszillierend zwischen ganz recht und ganz links, wurde 1935 von den Nazis ins US-Exil getrieben, kehrte 1951 zurück an die Universität Bonn) hat hier die Erinnerungen eines US-amerikanischen Hotel-Detektivs ausgewertet (Dev Collans „I was a house detective“).

Scan

 

„In ‚mannish clothes’, weithin erkennbar, streifen die lesbischen „Wölfe“ durch die weite Hotelhalle.“ (Hentig, S. 30)

Noch ein Mal:

„In ‚mannish clothes’, weithin erkennbar, streifen die lesbischen „Wölfe“ durch die weite Hotelhalle.“
Genau hier, auf dieser Velours-Lichtung, gesäumt von baumgleichen Säulen treffen sie einander, küssen einander, tragen weite Hosen. Die eine lehnt an einer Säule, öffnet ihr Männer-Jacket und zeigt zwei Welthalbkugeln, eben dadurch wird die Hotelhalle zur weiten Welt, sie wird es, dasz jeder vornehme und voreingenommene Besucher, jeder Hase und jeder Igel, meint, sie haben streifend und lehnend, die Säulen über den Rand hinaus verschoben, bis die Wände so weit wie die Welt waren, nein, sind.
Auftritt der Männer von der Grenzpatrouille. Sie ahnen und ahnden Übertritte und Brüche aller Art. Der kleine amerikanische Detektiv gibt dem deutschen Professor mit dem groszen Namen einen Wink. Ist die Weite der Hotelhalle Gefahrenzone, so auch die Enge intimer Räume. „Die Toiletten der besseren Hotels sind wirklich die Sammelpunkte lesbischer Frauen, wie Collans mitteilt.“ (Hentig, S. 66).

Dasz die Männer, denen weite und enge Räume, Welt und Natur mitsamt den Hotels gehören, sich wehren müssen, ergibt sich auch aus der Vergesellschaftung der lesbischen Frauen mit Kleinkriminellen. Zurück in die Vorhalle eines groszen New Yorker Hotels, in die hineindrängen: die „Taschendiebe, die Pelzmarder, die kleinen Betrüger und vor allem die Lesbischen, die ihre Beute suchen. In scharfer, betonter Kleidung sitzen sie beisammen, und es ist schwer, sie ohne Aufsehen wieder loszuwerden. Verdacht wird rege, wenn sie kühl über Männer hinwegsehen …“ (Hentig, S. 17)

Noch ein Mal:
„Verdacht wird rege, wenn sie kühl über Männer hinwegsehen …“ (Hentig, S. 17)

Die Vergesellschaftung mit Kleinkriminellen und Pelzmardern ist das kleinere Verbrechen. Gröszer und furchtbarer ist das Verbrechen des Blicks. Die Blicke der Frauen gleichen Vögeln, die Männer sind ein schwarzer Klumpen über dem hellen Augendiagramm der Frauen. Vielleicht wissen die Männer in diesem Moment nicht, ob sie Strauch, Baum oder Säugetier sind. Vielleicht sind die Blicke der Frauen auf die Männer die Schläuche, die sie nähren, die Leitungen, derer sie bedürfen, die Insichs, die Subalternen, die Spiegelscherbensucher. Falls dem so ist, bedarf es für sie der Technik der Verkehrung: es seien die Lesbischen, die Beachtung benötigen und so seien sie zu verscheuchen. So führt das weibliche kühle Hinwegsehen hotelseits zur „Technik der achtlosen Bedienung“, „die der Oberkellner durchzuführen hat.“ „Das Essen wird kalt serviert, Bestellungen werden verzögert, Getränke verschüttet. Bei der großen Empfindlichkeit der lesbischen Frau gegenüber Nichtbeachtung ist die Behandlung meistens erfolgreich. Haben zwei Lesbische im Hotel übernachtet, so ist beim nächsten Male leider jedes Zimmer schon besetzt.“ (Hentig, S. 17)

Vorher aber ist alles zu spät. Sie ist drin. Allein. Anfänglich allein.

Das Foyer ist der Körper, das Hotel mit den Zimmern ist die Psyche.

2. Die Psyche.

„Collans (also der Hotel-Detektiv) hatte einzuschreiten, als eine ruhig aussehende Frau von etwa dreißig Jahren, eine Musiklehrerin aus der Provinz, im Hotel das Manicure-Mädchen auf ihr Zimmer bestellt und den Versuch gemacht hatte, es zu verführen. Als er auf das Zimmer kam, warf die Musiklehrerin dem stellvertretenden Direktor des Hotels eine Flasche Sherry an den Kopf und drohte, das Hotel in Brand zu setzen. Es war ein Grund, Lesbische mit allen sanften Mitteln aus dem Hotel fernzuhalten, daß Eifersuchtsszenen, wenn sie sich abspielten, alles erträgliche Maß überstiegen.
Diese elementare Eifersucht und Besitzgier zieht die Vernichtung des Liebesobjekts, aber auch die Selbstvernichtung dem Mitbesitz oder dem Verlust an andere – Frauen oder Männer – vor.
Ja, die Geliebte an einen Mann, das „minderwertige“ grausame, rohe und selbstsüchtige Geschlecht zu verlieren, das als besonders besitzunwürdig angesehen wird, ist eine ganz besondere Schmach. So ist die Drohung, das Leben habe, wenn die andere nicht treu bleibt, keinen Wert mehr – weder für die eine, noch für die andere – keine leere Drohung. Hier stehen wir bereits auf der Grenze, die zu schwerer Gewalttat und entschlossenem Selbstmord führt.“ (Hentig, S. 35f)

Kurze Inhaltszusammenfassung:
Die Musiklehrerin und die Kosmetikerin, der Detektiv und der Direktor, die Flasche Sherry und der Hotelbrand. Eifersucht, Besitzgier, Schmach, Drohung, schwere Gewalttat. Grenze.

Das Hotel ist die Stätte der Probe der Grenzüberschreitung. Hier, wir schränken das ein, wir brauchen uns nicht zu fürchten, im Amerika der 50er Jahre.
Der deutsche Wissenschaftler ist auszerordentlich ökonomisch vorgegangen: aus einer unbelegten Geschichte, einer sog. Anekdote oder Biertischstory hat er eine Situation äuszerster Gefahr und Gewalt fabriziert.
Am Anfang war die Übertretung: die Frau verführt die Frau, hinzu kommt Gewalt und Alkohol – „Psychisch verstärkt und motorisch enthemmt wird diese wütende Eifersucht durch Alkohol und andere Genuszgifte. In der Intoxikation wird die zurückgedrängte Anlage entriegelt.“ (Hentig, S. 36)

Ein Riegel dient der Verriegelung. Den Hang der Lesbischen zum Alkohol belegt der Autor u.a. mit antiken Quellen wie Juvenal, röm. Kaiserzeit. (Also etwa 2000 Jahre alte satirische Schriften.)
Die Begegnung im Hotelzimmer der Musiklehrerin aus der Provinz bevor die Männer stören, „grausam“, „roh“ und „selbstsüchtig“ wie Hentig sie beschreibt, müszte noch einmal neu erzählt werden. Zurück auf Zimmer 312, Carlton Hotel.

3. Das Gericht – eine Geschichte aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts

Gerichtsreportagen in Zeitungen hieszen früher: Vor den Schranken des Gerichts. Die einen stehen davor, die anderen sitzen über sie zu Gericht. (Vorher haben sie unsichtbare Schranken überschritten. Der Ausdruck: den Stab über jemanden brechen, über Verbrecher eben, bezeichnet Rechtspraxis in Mittelalter und Früher Neuzeit. Der Stab ist Signum richtender Macht.) In dieser Geschichte geht es um das Aufstehen von Frauen, die erkennen, dasz über sie gerichtet wird, obwohl sie nicht vor Gericht stehen. Im Gericht wird über die Richtigkeit von Geschlecht befunden.
Die Presse drückt das Fleisch in Form, die Frau zur Sau.

Die Zeitung mit den Groszbuchstaben bringt 1973:
„Die Liebe einer Frau kennt keine Grenzen. Das ist ein Satz, den Männer gerne hören. Aber es hat auch Männer gegeben, denen dieser Satz eine Gänsehaut über den Rücken gejagt hat. Fast alle diese Männer leben nicht mehr. Sie waren mit lesbischen Frauen verheiratet, sie standen lesbischen Frauen im Wege, und sie mußten sterben …“
zit. n. IHRSINN 16/97, S. 14, Artikel von Irene Beyer

Es gab einen Anlasz und es gab einen fachlichen Hintergrund, einen wissenschaftlichen sogar: das Buch von Hans von Hentig. Fälle und Feld. Drei Wochen lang druckte BILD täglich etwas über „Die Verbrechen der lesbischen Frauen.“

Frauen der Berliner Homosexuellen Aktion Westberlin, im Februar 1972 hatte sich in der schwulen Gruppe eine lesbische gegründet, die sich 1975 als LAZ – Lesbisches Aktionszentrum – ganz von den Männern separiert hatten, verteilten im Februar 1973 in Berlin ein Flugblatt, auf dem stand: „Die Verbrechen an den lesbischen Frauen“.

Von heute an. Das Eigenwort, das Selbstwort, der Selbstwert.
Das Unwort, der Unrat, die Abart ab in die Geschichte, die Akten.
Von heute an unser Leben.

Protest im Itzehoer Gerichtssaal 1974

In einem Gerichtssaal in Itzehoe standen eine Reihe Frauen am 16. September 1974 auf, „mit schlotternden Knien“ und zeigen auf ihren T-Shirts die Worte:
„Gegen geile Presse – für lesbische Liebe!“
Der Itzehoer Lesbenprozesz, d.h. der Prozesz gegen Marion Ihns und Judy Anderson, denen zur Last gelegt wurde, einen Killer zwecks Beseitigung des Ehemanns der Ihns gedungen zu haben, war ein Skandal.
In dieser Geschichte, in der es auch um Mord aber meistenteils doch ums Wort geht – L-Word wird erst viel später ein Kuschel-Movie, ein geselliger Schnittchen-Abend – halten wir kurz inne beim Wort SKANDAL. Es ist ausgetreten, wie eine Fuszbekleidung ähnlichen Namens, Steigerung von Sandale: Birkenstock. Irgendwie out und beschwiegen. Zu unseren Füszen auch die handgreiflichste und schönste Eindeutschung des griech./lat. Worts SKANDAL: Fallstrick.
Es fallen die Mächtigen über die Stricke, die die FuszgängerInnen finden. Nicht eigentlich finden, sondern nennen. (Ist nicht jeder ihrer Schritte ein herausgezögertes Stolpern?)

Man komme hier nicht mit: Das war damals so. Skandalös auch für damalige Verhältnisse die Bedingungen des Prozesses gegen Ihns und Andersen. Die Öffentlichkeit wird nicht nur nicht ausgeschlossen (Begründung: es sei kein Sexualdelikt), es gilt eine uneingeschränkte Photografier-Erlaubnis. Die Verteidiger widersprechen nicht. Die Lesbe an sich steht vor Gericht.
Der Richter hatte den Schöffen eingangs erklärt: „Diese Fehlgerichtetheit ist ja im Grunde noch nichts, was die Angeklagten belastet.“ (Ihrsinn, S. 16)
Die Verteidiger fordern mildernde Umstände wg. Unzurechnungsfähigkeit wg. lesbischer Liebe. Die beiden Gutachten widerlegen das: Da l.L. keine Krankheit sei, führe sie nicht zu Verwirrung. Kein Mord-Motiv ist die Gewalttätigkeit des getöteten Ehemanns.

Ein ungewöhnlich hartes Urteil – auch nach damaligen Verhältnissen

Das ergangene Urteil ist ungewöhnlich hart: zweimal lebenslänglich. Höchst gewalttätig die Behandlung der Verbrecherinnen in Haft: Judy Anderson wird unter Anwendung körperlicher Gewalt in die Anstaltsuniform „Blaues Kleid mit weiszer Schürze“ gekleidet. Die Verbrecherin wird in die weibliche Rolle geprügelt. Die Verbrecherin wird von anderen Frauen isoliert, Sprechverbot, Kontaktverbot.

Das ist vorbei und es ist nicht vorbei, weil es einfach so vorbei ist, wie nichts vorbeigeht einfach so. Die Geschichte von zwei Verbrecherinnen aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird mit einem Zitat von Christa Reinig beendet. Um drinnen und drauszen geht es, um die Grenzen des Männerkartells – Grenzen in doppeltem Sinn: erstens der verbotene Blick der Frau auf die Frau, zweitens die Grenzen der Männermacht, die Macht von Skandalisierung und Solidarisierung. Wir sind. Es reicht. Wir sind viele.

Christa Reinig in Lesbenfront Nr. 7, 1983:
„… Dann haben sich damals viele heterosexuelle Feministinnen bezichtigt, sie seien lesbisch, das hat mich erschüttert. ‚Und ich soll mich verstecken?’ Ich habe das nicht durchdacht, das lief eigentlich nicht über Worte, sondern das lief über Empfindungen: ‚Ich muß raus! Ich muß mich stellen!’ … Dieses Rausspringen, das war wirklich der Ihns-Prozeß. Ohne den Ihns-Prozeß wäre ich als Dunkellesbe weitergeschlichen …“

Quellen:
Hans von Hentig, Die Kriminalität der Lesbischen Frau, Stuttgart 1959.
Irene Beyer, in: IHRSINN, 16/1997, S.13 – 24.
(Text für Salong am 2. Oktober 2012 im Haus Drei)