Böse Frauen

Muschi-Krawall

2012 waren gerade drei der fünf Pussy-Riot-Frauen (Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch und Marija Aljochina) zu mehreren Jahren Arbeitslager verurteilt worden wegen ihrer Aktion in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale. In der Haft wurden sie miszhandelt. Sie wehrten sich mit Hungerstreiks – wie einst die Suffragetten. Ende 2013 wurden sie – Aljochina bezeichnete es als „PR-Gag“ – vor den Olympischen Winterspielen in Sotchi freigelassen. Putin sitzt fester denn je im Sattel – wir müssen also weiter beten.

Muschi-Krawall

Oder: Kunst ist Politik

Oder: Politik isst Religion

Den Verfolgern ist nie etwas zu dumm, ihre beweglichen Ziele sind ihnen zu schlau, ein Umstand, aus dem immer wieder Hoffnung geschöpft wird. Hoffnung schöpfen die Nachgeborenen wie die Zeitgenossen, die nicht Teil des Verfolgungsprozesses sind. Die Metapher SCHÖPFEN zeigt, dasz die Hoffnung strömt, tropft oder versiegt, ein offenes Gewässer ist, das um die Wohn-Felsen und Tritt-Steine der Macht flieszt.
Das wichtigste Compendium der Hexenverfolgung, der Hexenhammer der Dominikanermönche Heinrich Kramer und Jacob Sprenger aus dem ausgehenden 15. Jahrhundert liefert ein steindummes Argument für die Frauen-Verfolgung aus dem Bereich der Fiktiv-Etymologie: Fe-Mina bedeute: die weniger glaubende.
Aber was heiszt schon dumm, wenn es um Glauben geht.
Im Rückgriff auf die honorigen Verfolger in der Mönchskutte erkennen wir im Hauptanwurf gegen die Frauen von Pussy Riot, im Wort Blasphemie, schmierig, wabbelig insichselbst, die Offenbarung, dasz das Verbrechen ein weibliches ist – Femie.
Das Verbrechen der Blasphemie verbindet das Privateste mit dem Mächtigsten.
Das Verbrechen der Blasphemie verbindet das Privateste (religiöse Gefühle) mit dem Mächtigsten, es verkettet Gefühle einzelner, sich religiös beleidigter mit Knast, Straflager, Lynchjustiz oder anderen gewaltsamen Übergriffen für die angeblichen Verletzer. Staatsverbrechen ist Blasphemie in Staaten, die weder Privatheit noch Öffentlichkeit schätzen und schützen.
Blasphemie-Anklage kann also ein Stein im Herrschaftsgefüge sein – wie im autokratisch regierten Russland, wo die Kirche das Regime stützt und legitimiert. Wasser und Stein – zu den verallgemeinernden obigen Bildern kommen nun die bunten Strickmützen-Masken und Strumpfhosen und auf der Seite der Macht der Käfig, dann die Glasbox, in der Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch, Marija Aljochina saszen. Der Prozesz wurde im russischen Fernsehen übertragen.
Die Anklage lautete auf „Rowdytum aus Motiven des religiösen Hasses“. Am 21. Februar diesen Jahres hatten die drei Frauen eine nach 30 Sekunden abgebrochene Performance in einer groszen Moskauer Kirche gewagt. Bis zum Ende des Prozesses am 8. August saszen sie in Haft. Die Anklage lautete zunächst auf sieben Jahre – nach einer Äuszerung des Präsidenten der für Milde plädierte und somit die Justiz vor Unabhängigkeit in Schutz nahm – wurde das Urteil letztlich auf zwei Jahre Arbeitslager reduziert. Der Prozesz, geleitet von der Richterin Marina Syrowa, entsprach nicht rechtsstaatlichen Standards, was die Filmaufnahmen beweisen. Eine kleine Torheit der Regierenden.
Ich zitiere  das Punk-Gebet gleich komplett, sind doch immer nur Auszüge daraus zitiert worden. Anlasz zum Beten gegen Putin besteht auch 2015 noch.

Was heiszt hier religiöser Hass?

Religiöser Hass? Kleine Bedeutungsverschiebung: die Religiösen hassen die Frauen. Oben die Popen und die, sie heiszen wirklich so, die Patriarchen, die gütig von Gnade sprachen – ja, die wollten sie ausgieszen, sie selbst wollten vergeben und forderten staatliche Gnade-Erteilung. Sie taten es aber erst nach dem Prozesz. Und die Gnade setze, so Patriarch Kyrill I, eine tätige Reue der Angeklagten Frauen voraus. Unten die Masse der Gottesdienstbesucher, die auch am 21. Februar überwiegend aus alten Frauen bestand – einige von ihnen wurden als Zeuginnen im Prozesz vorgeladen. Es wird ihnen bereits als Sünde und oder Verbrechen vorgekommen sein, dasz Frauen, die noch dazu nicht dunkel gekleidet waren, in den Altarraum vordrangen. Heiliger Männerraum heiliger Rituale in toter Sprache. Eine religiös Beleidigte sprach vor dem Tribunal von „dämonischen Zuckungen“, die sie sehen muszte.
Sie haben es nicht verstanden.
Unverständnis ist gemeinsame Voraussetzung von Kunst und Gott, bei letzterem gehört noch die Unsichtbarkeit hinzu. In Diktaturen ist Kunst immer verständlich.
In Deutschland, wo die Aktion ebenfalls strafbar wäre, politisch-künstlerisch aber wenig Sinn gemacht hätte, wurden neben misogynen Beschimpfungen (Rabenmutterschaft davon das Harmloseste) der Vorwurf der Blasphemie wiederholt. In diesem Zusammenhang findet sich das Diktum der „Geschmacklosigkeit“ und allgemein der Unangemessenheit. Die Grenzzieher, die die Grenzen des guten Geschmacks, die Grenzen der Kunst/ der Satire/ der politischen Aktion und die Grenzen der Geschlechterrollen kennen, sitzen zur Rechten der Könige und ihrer Nachfolger.
Die Kommentatoren schleichen herum um den Namen der Gruppe, als sei er heilig oder schrecklich, Rumpelstilzchen oder Abrakadabra. 
Garadzha von Pussy Riot zu Pussy Riot:
„A female sex organ, which is supposed to be receiving and shapeless, suddenly startes a radical rebellion against the cultural order, which tries to constantly define it and show its appropriate place.“
„Das Geschlechtsorgan der Frau, das als empfangend und formlos gilt, begehrt plötzlich gegen die kulturelle Ordnung auf, eben diese Ordnung, die es ständig definieren und zuweisen will.“
Die kulturelle Ordnung ist nicht aus unverrückbaren Steinen gebaut. Die Angst ist oben, nicht unten: Tolokonnikova auf die Frage, ob sie Angst habe vor der Haft: „Nicht ich, sondern die Staatsgewalt musz Angst haben.“ Im gleichen Interview (SPIEGEL, Nr. 36, Sept. 2012) sagte sie auch:
„Wer Angst vor Wölfen hat, darf nicht in den Wald gehen.“
Nun zum inkriminierten Gebet an die Jungfrau Maria:
„Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin
, vertreibe Putin, vertreibe Putin.
 Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin
, vertreibe Putin, vertreibe Putin.
 Schwarzes Ornat, goldene Schulterklappen
. Alle Bittsteller kriechen zur Verbeugung.
 Das Gespenst der Freiheit im Himmel
. Gay-Pride ist in Ketten nach Sibirien geschickt worden.
 Der Chef des KGB ist ihr oberster Heiliger
. Führt die Protestierer bewacht in Haft
. 
Um den Heiligsten nicht zu betrüben, müssen Frauen gebären und lieben.
 Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck. 
Göttlicher Dreck, Dreck, Dreck.
 Mutter Gottes, Jungfrau, werde Feministin
. Werde Feministin, werde Feministin. 
Kirchliches Lob für die verfaulten Führer. 
Prozession aus schwarzen Limousinen
.
In die Schule kommt der Pfarrer. 
Geh zum Unterricht – bring ihm Geld! 
Der Patriarch Gundjaj glaubt an Putin. 
Besser würde der Hund an Gott glauben
.
 Der Gürtel der Jungfrau ersetzt keine Demonstrationen
.
Die Jungfrau Maria ist bei den Protesten mit uns! 
Mutter Gottes, Jungfrau, vertreibe Putin
, vertreibe Putin, vertreibe Putin!“

(geschrieben für Salong im Haus drei, Herbst 2012, 2015 Daten aktualisiert)