Böse Frauen

Malleus Maleficarum oder: Der Hexenhammer, erschienen 1486

„Dieses Buch gefiel 77 Prozent der Nutzer.“

Die Jäger sind die Einzigen mit Expertise. Sie sind die Einzigen, die alles wissen. Nur die Verfolger wissen, wer eine Hexe ist. Sie bringen die Verfolgten dazu, alles auszusprechen, was die Verfolger ihnen vorsprechen. Die Jäger und Richter geben ihr Wissen an die Opfer und an uns weiter. Die Hexen gestanden: es gab Massentreffen von Hexen, Teufelsanbetung und Sexorgien mit Teufeln, Grabräuberei, Säuglingsmord, Verwandlung von Menschen in Tiere, Flüge, Kannibalismus und das Opfern von Kindern für kosmetische Zwecke, Unwetter-Erzeugung und Unfruchtbarkeits-zauber.

Die Malifica, die Hexe ist die perfekte Verkörperung alles Bösen. Den Beweis zu erbringen, KEINE Hexe zu sein, unmöglich. Das Buch Malleus Maleficarum, deutsch Hexenhammer, ist der Auftakt, ist Wegmarke, ist ein Werk, das am Anfang des europäischen Verbrechens der Hexenverfolgung steht.

 

 

 

 

 

 

 

Autor des Grundlagenwerkes für Verfolgung, Folterung und Ermordung von HEXEN ist der Dominikanermönch Heinrich Kramer (lat. Henricus Institoris), für den Frauen ein „Übel der Natur“ sind. (Männer sind vor allem Opfer von Hexen.) Er konnte alles belegen: „Klein ist jede Bosheit gegen die Bosheit der Frau.“ So steht es schlieszlich im Buch Sirach (Jesus Sirach 25,19). Gern mal nachlesen bei Exodus 22,17: „Die Ruchlosen – auch übersetzt mit: Die Zauberinnen! – sollst Du nicht leben lassen!“ (Heutige Einheits-Bibelübersetzung: „Die Hexen“.)

Die Frauenfeindlichkeit ist schon im Titel enthalten – Maleficarum, das sind die bösen FRAUEN, für die Kramer den HAMMER (Malleus) schmiedet. „Also schlecht ist das Weib von Natur, da es schneller am Glauben zweifelt, auch schneller dem Glauben abschwört, was die Grundlage von Hexerei ist.“ Das Boshafte der Frau läszt sich nach allg. männlicher Erkenntnis schon am Wort weiblich in der gelehrten Sprache Latein ablesen: Fe-Mina – das ist die, die weniger glaubt. (von Fides, der Glaube)

Die Frauen sind in jeder Hinsicht Mängelwesen. (Kaum zu glauben, dasz Gott sie erschaffen hat.) Es sind aber nun nicht SIE, durch die das BÖSE geschieht, sie sind nicht Subjekt, nicht selbst handelnd – es ist der Teufel, der sie als Werkzeug benutzt. Hier haben wir es also mit der Erfindung von Kriminalität zu tun. Neu war, dasz die Hexerei zwar ein Antragsdelikt ist, die Informanten sind aber lediglich Zeugen. Wir können sagen: harmlose Denunzianten. Es war völlig gefahrlos, Namen zu nennen und Geschichten zu erzählen.

Kramer war ab 1474 Inquisitor, der alle möglichen Arten von Häresie (Ketzerei) verfolgte. Auch in der Judenverfolgung war er tätig. Aber sein besonderes Interesse, wir können von einer Obsession sprechen, war die Hexerei. Stolz berichtet er, dasz in Konstanz zwischen 1481 und 1485 48 „Hexen“ verbrannt wurden.

Sein Buch war ein Bestseller, 30.000 Exemplare in 29 Auflagen bis ins 18. Jahrhundert. ABER: es fand keine offizielle Anerkennung oder erlangte gar Gesetzesstatus. So läszt sich nicht genau klären, wie grosz die Verantwortung von Autor und Buch für das Verbrechen war.

Es ist ein Werkzeug, das dank des Buchdrucks rasche Verbreitung fand. Der Hexenglaube und der resultierende Femizid verbreitet sich um 1500 von Süden des damaligen Deutschen Reichs nach Norddeutschland. Wobei der Glaube, dasz mit magischen Praktiken Einflusz genommen werden kann auf das Gedeihen von Feldern und Vieh ein allgemeiner war.

Drei Kapitel hat der Inquisitor und Mönch da – offenbar recht eilig – zusammengeschustert. Das erste beantwortet die Frage, wer eine Hexe ist.

Kompletter Titel: enthält dreierlei, was zur Hexentat gehört, nämlich den Dämon, den Hexer und die göttliche Zulassung. Ob es Zauberei gebe, erste Frage. Ob die Behauptung, es gebe Hexen, so gut katholisch sei, daß die hartnäckige Verteidigung des Gegenteils durchaus für ketzerisch gelten müsse?

Die Antwortet lautet: ja. Wer die Existenz von Dämonen, Hexen und die des Teufels leugnet, ist Ketzer. Die Hexenverfolgung ist aus der Verfolgung der KetzerInnen und Ketzer hervorgegangen.

Das zweite Kapitel widmet sich den Magischen Praktiken und dem Schutz davor. Der Komplette Titel ist kürzer. Erste Frage: Wem der Hexer nicht schaden könne?

Der zweite Teil dieses Werkes, der Hauptteil, weil er von der Art handelt, wie die Hexen bei der Verübung ihrer Hexentaten zu Werke gehen, ist in achtzehn Kapitel geteilt. … An mehreren Stellen beschreibt der Mönch, wie Frauen es anstellen, den Männern ihren Penis zu rauben. Das siebte Kapitel widmet sich exklusiv diesem Verbrechen: „Über die Art, wie sie die männlichen Glieder wegzuhexen pflegen.“ (Schaut mal rein, alles bei Gutenberg.de)

Der Dritte Teil ist überschrieben: Es folgt der dritte Teil des ganzen Werkes, über die Arten der Ausrottung oder wenigstens Bestrafung durch die gebührende Gerechtigkeit vor dem geistlichen oder weltlichen Gericht, und wird fünfunddreißig Fragen enthalten; die allgemeine und einleitende jedoch wird vorausgeschickt. (Übersetzung aus dem Lateinischen übrigens von J.W.R. Schmidt von 1906.)

Nicht blosz Best- auch Longseller ist der Hexenhammer: beim ersten Google-Aufruf des MALLEUS (Oktober 2024) bekam ich die Leseempfehlung der „Protokolle der Weisen von Zion“ – der Verschwörungsnarrativ-Klassiker des Antisemitismus. Und dasz 77 Prozent der Nutzer das Buch gefiel. 77 Prozent der Nutzer, nicht der Leser. Und tatsächlich finden sich dort Frauen-Jagd-Geschichten, deren Hintergrund eben im dunklen Hintergrund bleibt.

Das Phänomen HEXE ist heute drei-gestaltet. Dreifältig. Erstens gibt es auch heute Hexenprozesse – nicht nur in metaphorischer, sondern auch in grausam realer Gestalt. Die Literaturwissenschaftlerin Marion Gibson berichtet zum Beispiel darüber in ihrem 2023 erschienen Buch „Hexen – eine Weltgeschichte in 13 Prozessen vom Mittelalter bis heute.“

Zweitens gibt es sie als BILD, Urbild, Abbild, Figur.

Und Drittens ist die HEXE seit der Frauenbewegung der 1970er eine feministische Selbstermächtigungsfigur. Machtvolle Selbstinszenierungen auf Demonstrationen. Stark die Italienerinnen mit „Tremate, tremate, le streghe son tornate.“ Und recht harmlos wirkende Social-Media-Hexen, die Kräuter und Zauberformeln empfehlen – sämtlich weisse Magie, kein Schadenszauber. Ihre Grosz-Mütter sind mit der Kleinen Hexe, die Mütter mit Bibi Blocksberg und Harry Potter aufgewachsen. Alles liebe und nette Hexen. Hashtag Witches of Instagram oder Witchtok bei Tiktok.

Zurück in die Zeit, da die Verbrechen erfunden wurde: das späte 15. Jahrhundert ist eine Zeit groszen Elends und Verzweiflung: Miszernten führen zu Teuerungen, führen zu Hungersnöten, führen zu Epidemien und zu groszem Sterben. Warum nur? Warum geschieht uns das? Sind wir heute aufgeklärter, denken wir Vernunft-geleiteter? (Ich zweifele.)

Immer suchen die Leute nach Erklärungen und meinen, sie seien gemeint, meinen, es habe mit ihnen zu tun. Noch lieber aber hat es zu tun mit den Anderen, mit zu Sündenbocken degradierten Leuten. Das hilft in Richtung Identitätsstiftung und Teambuilding, es hilft nicht, um Menschen zu versöhnen und Gesellschaft zu befrieden. Auf die Frage: warum hört das auf, die Hexenverfolgung, müssen wir genau dahin gucken. Die Suche nach Hexen, die Gewitter, Hagelschlag, Dürre und Heuschreckenplagen gezaubert haben, ist nicht mehr einzufangen, bald trifft es nicht nur die Armen und die Auszenseiterinnen, die Fremden und die Verwachsenen. Die Suche macht nicht halt vor der Bürgermeister-Gattin, vor hohen Adligen beiderlei Geschlechts.

Zwei Zahlen: geschätzt 90 Prozent der Opfer sind Frauen. Und es sind in Deutschland etwa 20.000 Tote. (Neuere Forschungen, ältere Zahlen sind sehr viel höher.)

Jede Krise zaubert eine Konjunktur herbei. Das Buch war das passende Werkzeug zur richtigen Zeit: es paszte zum Volksglauben – und eigentlich nicht zur theologischen Lehrmeinung, dasz Magie wirkungslos sei. Für den Hexenjäger und Hexenrichter Kramer, die Personalunion kennzeichnet die Verfahren, war die Zeit aus den Fugen geraten. Seine Endzeit-

Vision war von der Apokalypse des Johannes inspiriert. Die Städte stürzen ein, das Meer verschlingt die Inseln, die Berge verschwinden – die Menschen verfluchen Gott. Wissenschaftsgeschichte: Innerhalb der Theologie war im 15. Jahrhundert eine neue Wissenschaft entstanden: Die Dämonologie. Das Studium von Teufeln und Dämonen. (Die Zauberkräfte von Gott und das wundersame Wirken von Priestern war ausdrücklich nicht gemeint.)

Theologisch und Dämonologisch steht der Dominikanermönch Kramer auf den Schultern gröszerer Denker. So basiert die Theorie des Dämonenpaktes auf Augustinus und auf Thomas von Aquin.

Zentral ist das Binäre Denken: nur Weisz und Schwarz. Nur Gut und Böse. Nur Mann und Weib. Und bald darauf: zwei Konfessionen, evangelisch und katholisch, die jeweils andere war das Übel. Und ein Auszerhalb darf es nicht geben.

Damit möche ich enden: mit diesem meines Erachtens grösztem Übel. Dem zwei Schachtel-Denken.