Bevor die Insel aus grauer-grüner-schwarzer Nordsee auftaucht, tut sie’s aus Sagenhaftem und Liedgut: die Flagge schreibt die Farben vor. Grün das Land, rot die Kant, weisz der Strand. Trikolore, norddeutsch. Geologisch Buntsandstein, verwirbelter Sand mit Eisen, im Erdzeitalter Trias zusammengeschoben. Weisze Intarsien-Bänder, weiszer Sandsockel
eher auf der Flagge als im Leben. Im Flutsaum ein roter Schaum, eher eine Farblösung, das ist der zerriebene rote eisenhaltige Stein. Das Meer greift an und zu; der Schichtturm, bewohnt von Lummen und Tölpeln, hat einen Frauennamen und er wird einsacken oder wegrutschen, jedenfalls verschwinden, irgendwann. An anderer Stelle wird angeschwemmt, das Weisz gewinnt. Geologisches Wettspiel. Wie anders die Farb-Verteilung einst aussah, dem roten Felsen war ein weiszer Kalksteinhaufen gegenübergestellt. Dies witte Kliff diente den baufreudigen Städtern Jahrhunderte als Schürfgrund für Mörtel und Baustein, bis 1721 ein groszes Wasser ihn wegrisz. (Irgendwo musz es aber doch noch sein, aufgelöst treibend oder entlegend wartend.) Warum überhaupt dies fremde Rot? Es ist die mittlere Tortenschicht des Eilands, dessen obere weisze Kreide- und Muschelkalk-Schicht kaum noch zu sehen ist und das rote Gestein ist vom nicht zu sehenden weit darunter liegenden weiszen Steinsalz im Zechstein nach oben gedrückt worden und auch das ereignete sich in geologischen, nicht in menschlich erinnerlichen Zeiten. In dieser Prähistorie war die Insel noch keine Insel. Grün ist das Holozän, rot das Mesozoikum und weisz der Sand der Düne, in den ich heute im Juno meine Füsze tauche. Was ich vom weitem für Ginster hielt, ist zartgelber Klippenkohl, eine phantastische Pflanze mit einem blättrigen Kohlkörper und blühenden Rispen. Daneben die purpurfarbenen Falter der Heckenrosen, alle im Winde tanzend, weisze Dolden von Strandmelde dazu. Ich stelle mir die Zeit vor, als die schwarz-weisz-rote Flagge hier gehiszt wurde, Kaiserreich, Farben Preuszens, Farben der Hansestädte, mehr nicht. Wuchsen Klippenkohl und Strandmelde schon? Die Heckenrosen waren die Orden an den Männerbrüsten, die gelben Blüten-Ruten die Uniform-Kordeln, die Melde-Blüten die Meldegänger der Armee oder die Uniform-Aufschläge. Eine Insel für die kaiserliche Marine, eine Insel als Schlachtschiff gegen die britischen Inseln.
An den Wohnfelsen der Vögel, die zum Fotoschuszfeld gehören, denke ich an deren tendenziöse Namen, Trottel und Tölpel, gemeint sind angebliche Ungeschicklichkeiten in einem der drei Elemente Wasser-Erde-Luft, von denen die nichtfliegenden und kaum schwimmenden Zweibeiner nur eines mäszig das ihre nennen können.
Zurück zur Farbe. Hier: schwarz-weisz. Erstens: Das Fernsehen der Jahre, in denen die Insel bebaut wurde. Was für ein dicker Fang für Stadtplaner und Architekten in den Fünfziger und Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts: auf leergebombter Fläche ganz neu bauen. Zweitens und die höchste Funktionalität von schwarz und weisz: Trottellummen sind oben weisz und unten schwarz und schützen sich dadurch vor Raubvogelgefahr von oben und Raubfischgefahr von unten. Von Lummen lernen liesze leicht länger leben, wenn Gefahr denn vertikal und nicht horizontal aufzöge.
Die Farben von Helgoland sind grün, rot, weisz. Architekturfarben, Naturfarben, Tierfarben – rot ist der Stein und rot ist der heute mehr auf Werbetafeln denn in Felsennischen wohnende Hummer. Für seinen Freszfeind Mensch ist das Krustentier rot. Lebend und wirklich ist es blau, gekocht erst wird der Hummer hummerfarben.
Heuer im August feiert die Insel die hundertfünfundzwanzigste Wiederkehr der ersten Hissens der dt. Flagge. Die „Hohenzollern“ brachte den dt. Kaiser, Kriegsschiffe und Torpedoboote schmückten die Nordsee, Girlanden, Fanfaren, Festzüge das Land. Neunundzwanzig Jahre später schwarz-rot-gelb, dreiundvierzig Jahre später schwarz-weisz-rot, diesmal roter Grund, weiszer Kreis und darin ein schwarzes Kreuz mit Endbalken. Leichentuch, Militärfarbe und das gestohlene Rot der Arbeiterbewegung. Am Ende steht nur noch der rote Flakturm, um eine romantische Kulisse für das erste und medienwirksame Flaggenhissen in der Geröll- und Krater-Landschaft zu bieten. Ein Flaggenmast wurde improvisiert, oben flatterte im Winterwind schwarz-rot-gelb, darunter ein grünes Tuch mit einem angeschnittenen E für Europa. Das schwarz-weisze Zeitungsbild mit zwei Flaggen und zwei Männern vom Dezember 1950 gilt als Beleg für eine „Besetzung“ Helgolands und den Beginn der bunten Nachkriegszeit.
Der Basstölpel hat einen gelben Kopf. Der Austernfischer einen roten Schnabel. Die Brandseeschwalbe hat einen schwarzen Schopf. Mehr ist Ornithologie.
Morgen werde ich heimfahren. Die Farben nehme ich mit, ein Behältnis suche ich noch, die Steine von Düne und Fels will ich nicht, eine Lufttrommel, das wär’s, eine Farb- und Erinnerungsbotanisiertrommel.
Was entsteht, wenn ich die Farben von Helgoland mische? Das schmutzige Grau des Wassers? Ein gebrochenes weisz? Nein, ein Pinsel musz Gelb hinzutupfen. Gelb der Sonne und der Blüten, es entsteht ein vertrauter Farbvielklang, der mit dem Fremdwort beige bezeichnet wird.
Beige ist die letzte und somit stärkste Helgoland-Farbe. Schlieszlich ist beige auf dem Schiff, das mich nach Hamburg bringt, die vorherrschend Farbe, denn es ist die Farbe, die überwiegend von den überwiegend älteren Urlauberinnen und Urlaubern, den Ausflüglerinnen und Ausflüglern getragen wird. Beige ist die ideale Tarnfarbe, der Schutzanstrich gegen Altersarmut und aggressive Nachkommenschaft.
(Geschrieben auf Helgoland im Juni 2015)