„B.“ ist Buchenwald, das KZ bei Weimar. Da war doch was – eine unglaublich sadistische, also eine abartige Frau, eine Hexe mindestens, die Häftlinge quälte und im Schein von Menschenhaut-Lampenschirmen … Ich wollte das mal überprüfen.
Wir stellen uns eine Frau von angenehmem Äuszeren vor, rotblonde Locken, schlank, modisch gekleidet, die ein Leben im Wohlstand führt, ein Leben, aus dem sie nicht kommt. Geboren in eine protestantische Handwerkerfamilie, kl. Verhältnisse, Backfischzeit im Ersten Weltkrieg. Ab Mitte der 20er Jahre ein angenehmes, ein modernes Leben: Frau K. ist bei Reemtsma in Dresden angestellt, sie macht den Führerschein, ein Leben, das wir gern einmal überstreifen beim Biographie-Spiel, ein Leben mit einem Lebenslauf, der von ihr aufgehübscht wird: Sie erfindet sich den Besuch des Gymnasiums und eine Ausbildung als Bibliothekarin. Leider ist es im wirklichen Leben nur die Volksschule, später eine unbezahlte Stelle, ein Praktikum mithin, in einem Buchladen. Würde es heute schneller oder später auffliegen? Später hätte man ihre Ehe mit dem älteren geschiedenen Mann eine „offene Ehe“ genannt: beide haben auszereheliche Verhältnisse. Ein Kind aus seiner ersten Ehe lebt im gemeinsamen Haushalt. Hätten wir Frau K., übrigens auch geborene K., nicht gern als Mutter resp. Groszmutter?
Oh, hab ich jetzt WIR gesagt? Ich meine WIR abzüglich aller Frauen, die aufgrund von Lebenserfahrung und biographischen Interviews überhaupt keine Mutter haben möchten. Und abzüglich aller Frauen, die die schlagende Zeile „Hexe von B.“ in Suchmaschinen eingeben, dann bei Frau K. von über zwanzigjähriger Haftstrafe lesen. Und vor die die Fleischwerdung des Bösen Weibes, eine absolute Rollenverfehlung, Frauenfehlbesetzung tritt. Das Verbrechen, ihr Verbrechen ist so gewaltig, dasz das Frausein erstens darin verschwindet, es ist züchtig innen, wie ja das Wort Verbrecher-innen weisz, zweitens aber macht das Frausein das Verbrechen grosz, zu einer internationalen Affäre, zur Abscheu-Maschine. Ist die an- und dann wieder ausgeschaltet, kann mann, frau, kind wieder ruhig leben.
Die Hexe: Urbild der Verbrecherin
Daher der Name Hexe. Urbild der Verbrecherin, kreiert nach Denunziation, nach Gericht, nach Tortur. Zeiten frei flottierender Angst, Krisenzeiten suchen und finden bedrohliche Figuren. Die Hexen des 15. bis 18. Jahrhunderts waren gefährliche Verbrecherinnen, die Menschen und Ordnung existenziell bedrohten.
Die Veränderung von Bewertungsmaszstäben und Normen erzeugte Kriminalität, die Veränderung von Bewertungsmaszstäben und Normen führte zum Tod von vielen Tausend Frauen (20 – 40.000 Prozesse im Alten Reich). Doch das nur nebenbei. Um die Kriminelle selbst geht es. In früheren Zeiten, die wohl hin und wieder andauern, regierte die Überzeugung, dasz magische Praktiken Einflusz haben auf das Gedeihen von Mensch-Vieh-Getreide. Den Hexen wurde zur Last gelegt: der Schadenzauber (Maleficium), der Teufelspakt (also die Abkehr vom christlichen Glauben), die Teufelsbuhlschaft, die Teilnahme am Hexensabbat. Der letzte Tatbestand war kriminell genug.
Auch Hexen müssen klar einen männlichen Chef haben
Merke: die Hexe kann nicht allein das Böse Werk schaffen, es ist über ihr Herr Teufel, mit dem sie Sex hat.
Vorsicht: In den Gesetzen werden geschlechtsneutrale Formulierungen gewählt oder beide Geschlechter genannt. Es sind die Theologen, die hier helfen, begründen, dasz es die Triebhaftigkeit, die Boshaftigkeit und die Leichtgläubigkeit der Frau sind, die sie zu Teufelsbuhlerinnen und Hexen werden lassen.
Exkurs: Hexe, die (das Wort)
Zunächst ist von Zauberinnen, von Unholden oder bösen Weibern die Rede. Die HEXE wird erst im 17. Jahrhundert erfunden.
Hexe geht zurück auf hazussa (10. Jh.) und hagazussa (11. Jh.). Bezugswort ist hag – Hecke, Einfriedung. Sie ist also eine Grenzüberschreiterin und Grenz-Bedroherin. Etymologie-WB: „Unter Hexe wäre also eine Unholdin zu verstehen, die, auf Zäunen lauernd … die eingehegte geschützte Wohnstätte zu gefährden sucht.“
Die Hexe, um das Schatzkästlein patriarchaler Ängste und Gewalttätigkeiten abzuschlieszen, ist beunruhigend KÖRPER und ist trügerischer KOCHTOPF. Im Kochtopf bereitet sie ebenso Speise wie Liebestrank, und ihr Körper ein Rätsel, Leben gebend, ein Leib, aus dem mal Blut, mal Milch flieszt. Gut, sie zu entmündigen; sie, weicht sie ab, für krank zu erklären, ist eine spätere, saubere Lösung.
Klar ein NO-GO, die Hexe von B. mit den unschuldigen hingerichteten „Hexen“ zu vergleichen
Zurück zu Frau K., der Hexe von B.
Es ist eine Grenzüberschreitung, Ilse Koch, die Hexe von Buchenwald mit den unschuldigen, als Hexen hingerichteten Frauen zu vergleichen.
Ihre privaten Photos gelangen lange vor dem Prozesz in die Öffentlichkeit, wo sich die Gerichte um die Frau als Angeklagte reiszen, ??? füttern US-amerikanische und ostdeutsche und westdeutsche und sicher auch andere Zeitungen ihre geile Leserschaft mit Vorkriegsphotographien der nachmalig zur Hexe deklarierten: Ilse Koch im geblümten langen Hochzeitskleid, der Bräutigam trägt schwarze Uniform – was die schwarz-weisze Photographie gar nicht zeigt. Aber der Ehemann, der durch die Ehefrau in den Schatten gestellt wird, war zum Zeitpunkt der Eheschlieszung SS-Obersturmbannführer. (Zum Zeitpunkt der Anklage war er tot.) Photos vom Wohnzimmer mit Seestück überm Sofa, Blümchentapete und wuchtigen Lampen. Photos mit Pelzmantel und Kleinkind und Airedale-Terrier. Photos mit Badeanzug und Sommer-Sonnen-lächeln. Familienphotos, die niemand aus irgendeinem Album herausgerissen hätte, wenn die Person nicht die Projektionsfläche von Hexen-Phantasien gewesen wäre, zu der sie gemacht wird. Das Album selbst ist Beleg der Bestie – oder soll es doch sein. Während des ersten Prozesses gegen Ilse Koch war es angeblich verschwunden, obwohl die Anklage, ein aus Nicht-Juristen bestehendes US-amerikanisches Gericht, das in Dachau zusammentrat, dieses Album die ganze Zeit über besasz. Ein gewöhnliches Album, in schwarzes Leder gebunden, von dem es hiesz, alle sagten das, alle wuszte es, die Häftlinge hatten es auch bestätigt, es sei in Menschenhaut eingebunden. Das ist die Hauptanklage der ganzen zivilisierten Welt gegen die Hexe von B.: sie habe aus der Haut von Häftlingen Gebrauchsgegenstände angefertigt. (Die Hauptanklage also eine Hautanklage, über den Kalauer hinweg ist die Ehefrau des Kommandanten die oberste Schinderin aller Häftlinge von Buchenwald, eines Lagerkomplexes, in dem immerhin 56.000 Menschen ermordet wurden.)
Weder das amerikanische, noch das deutsche Gericht, das die Koch danach anklagte, fand einen Beweis dafür. Keinen Lampenschirm aus Menschenhaut, kein Dokument, keine verwertbare Zeugenaussage. Stattdessen ein Knäuel aus Gerüchten, das Ilse Koch bis ans Ende ihrer Tage zur „Lampenschirm-Ilse“ macht. (So z.B. das Nürnberger „8 Uhr Blatt“ vom 18.10.1950 – „200 Zeugen gegen Lampenschirm-Ilse“ – (Przyrembel, S. 260))
Frau mache sich einmal den Spasz, Bundesbürger Ost wie West und älter als 35 nach Ilse Koch, der „Kommandeuse“, der „Bestie“, der „Hexe“ von Buchenwald zu befragen: die meisten werden erinnern, dasz sie Sammlerin menschlicher Hautstücke war, dasz sie Auftraggeberin der Präparation war. Mindestens aber werden sie abnorme, ganz jenseitige weibliche Gewalttaten assoziieren.
Den Lampenschirm aus Menschenhaut, den so viele gesehen haben, gab es nicht. Es war Tierhaut.
Viele haben in der Nationalen Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar sogar den Lampenschirm aus echter Haut gesehen. Obwohl allgemein als ein solcher gesehen, verwandelte er sich niemals in einen solchen. Er blieb aus Tierhaut, vermutlich Ziege. (Mitte der 1990er Jahre untersucht.)
Auf Ilse Koch, die übrigens auch später öfter log und ganz gewisz kein empathischer Mensch war, lasteten die Hoffnungen der angewiderten Amis und der buszunwilligen und befehlsverliebten Bundesbürger. Achja, auch der Demokratische Frauenbund der DDR forderte ihre Auslieferung und Aburteilung, zu sehr wich sie ab vom Alt-Neuen Frauenideal.
Und sie selbst? Während des deutschen Prozesses, der am 15. Januar 1951 in Augsburg mit „Lebenslänglich“ endete, sie war immerhin seit 5 Jahren in Haft, brach sie zusammen, als sie am Ende der zweiten Verhandlungswoche in ihre Zelle zurückgebracht wurde.
Sie schrie aus Leibeskräften: „Ich bin eine Sünderin, ich bin schuldig“ und begann, ihr Bettzeug zu zerreiszen. (Smith, S. 196f) Sie wurde in ein Krankenhaus gebracht, beruhigte sich wieder, rief von dort sonntäglichen Spaziergängern zu: „Ich habe gesündigt. Ich bin schuldig.“
Das ärztliche Gutachten zu diesem Zeitpunkt befand, dasz die Angeklagte nur krank spiele, um ihrer Verurteilung zu entgehen.
Heute sehen wir klar dasz die schlechthinnige Verbrecherin Koch die Wünsche der westdeutschen Gesellschaft spiegelt, die lauter tote Nazis verantwortlich macht und für den Rest zum einen Maschinerien, vgl. die beliebte Metapher der „Todesfabrik“ und eine Handvoll sadistischer Täter. Hier nun, Prinzip Hexe, wird die auszerhalb stehende Frau, die Frau, die Ehefrau, nicht Wärterin im Männerlager war, zur Urheberin aller Schrecken. In der ersten Anklage wird sie allen Ernstes als „unumschränkte Gebieterin Buchenwalds“ und in der Presse als „most hated woman of the world“ bezeichnet.
Die „most hated woman of the world“
Es wird betont, dasz sie „freiwillig“ eingriff – während die männliche Entschuldungs-Phrase ja bekanntlich auf „Befehlsnotstand“ lautete. Medizinisches Gutachten zwo: der Psychiater Leibbrand bezeichnet sie als „Grausamkeitsroboter“ und wird grundsätzlich: in einer vorzivilisatorischen Epoche sei „die Grausamkeit der Frauen … viel intensiver als die der Männer“ gewesen. (Przyrembel, S. 263)
Abnorm: die Frau, die Befehle gibt. Abnorm, also ab-weiblich ihr allg. auf Vergnügen zentriertes Freizeitverhalten. Das Augsburger Gericht untersucht, ob sie eine gute Ehefrau war wie die übrigen SS-Frauen, die sich um die Kinder kümmerten und versuchten, „Leid zu lindern“, was diese, die Ilse Koch nicht sehr schätzten, von sich selbst behaupteten. (Um ihre Weiblichkeit zu belegen, wurde übrigens von der Verteidigung im deutschen Verfahren das erwähnte Photoalbum bemüht.)
Die Hexe schwingt sich zu einem Privileg der SS auf: sie reitet. Sie reitet noch heute. Sie reitet durch das Häftlingslager (auch das ein nicht ausreichend belegter Umstand). Ein ehemaliger Buchenwald-Häftling, der nicht vor Gericht aussagte:
„Ich erinnere mich an Sie, rothaarig, wie sie auf einem Pferd ritt und über bejammernswerte Menschen lachte. … Sie ließ Lampenschirme aus heller weißer Menschenhaut herstellen, die mit obszönen Motiven tätowiert war, und das Licht in ihrer Wohnung fiel auf winzige mumifizierte Schädel … Sind Schädel und Skelette aus ihrer Wohnung nicht Beweis genug (für Clay)?“ (zit. n. Smith, S. 161) (Es gab sie nicht.)
Die Hexe musz brennen, auf dasz die Welt wieder ein wohnlicher Ort werde.
Leider kann ein Todesurteil nicht gefällt werden, da die Verbrecherin schwanger ist. Dabei ist ihr Ehemann seit Jahren tot und sie in Haft! Und sie verrät den Namen des Erzeugers nicht, es ist vermutlich der Teufel selbst – aber kommen wir zum Ende mit ihr: das Time Magazine am 25. August 1947 über das (erste) Prozesz-Ende:
„Die schmutzige Schlampe auf der Anklagebank blinzelte nervös zu den sechs US-Offizieren auf der Münchener Tribüne. In abgehacktem Tonfall verlas US-Brigadegeneral Emil Kiel das Urteil: ‚Ilse Koch – lebenslänglich’. Gerechtigkeit hatte die rothaarige … Hexe von Buchenwald, die Gefangene im national-sozialistischen Konzentrationslager zu ihrem Vergnügen schlagen und, nachdem sie an der Folter gestorben waren, aus ihrer Haut Handschuhe und Lampenschirme anfertigen ließ, eingeholt.“ (zit. n. Smith, „Die Hexe von Buchenwald“, S. 136)
Ende der 1950er Jahre sind alle von den Amerikanern verurteilten Kriegsverbrecher frei – bis auf Ilse Koch, die sich im September 1967 in ihrer Aichacher Zelle mit Bettlaken-Streifen erhängt.
Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechtes, München 1997, Art. von Ingrid Ahrendt-Schulte „Hexenprozesse“, S. 199 ff
Arthur L. Smith, Die Hexe von Buchenwald, Weimar 1995.
Alexandra Przyrembel in: Gedächtnis und Geschlecht, Deutungsmuster in Darstellungen des nationalsozialistischen Genozids, Hg. Insa Eschebach, Sigrid Jacobeit, Silke Wenk, Art. Der Bann eines Bildes – Ilse Koch, die „Kommandeuse von Buchenwald“, S. 245ff)
(geschrieben für Salong im Haus drei, 2010)