Alltag

Blaues Blut

Ich schreibe diese Geschichte mit Blut.
Halb in und halb an diesem Blutstrom sitze ich und tunke die Feder hinein. Einmal eintauchen ein Wort, einmal eintauchen ein Mord. Am Blutstrom sind Wehre und Schleusen mit Kammern, bedient von Männlein, ich sage Männlein, weil ich sie nicht aus der Nähe sehe. Sie regeln wohl die Strommenge. Zuflüsse, Abflüsse, Flieszgeschwindigkeiten, sowas. Die faktisch-technische Seite. Ihre andere Seite ist ideologisch – da verwandeln sie Tinte in Blut, berufen sich auf höhere Wertigkeit ihrer Tunke, dem Gemetzel bleiben sie fern, „sie“, wie sich das leicht dahin schreibt, die Kriegserfinder, die Schlachtfeldbesteller, die Sieger-Chronisten. Sie wuszten, dasz Blut ein Leim ist für störrische Spielfeldfiguren, sie lassen sich dann bündeln wie Garben oder Langwaffen. Hört mal her: Blutsgemeinschaft, ein toller Schachzug.
Blut, Blut, Blut, ist alles was ich mag, weil mein Schatz ein – nein, das ist fad.
Und schlicht ist es, bei Rot blosz an Blut zu denken.
Wo aber flieszt das Blaue Blut? Ich sitze am Blutstrom der Geschichte und kann es sehen, ja, ein Ader-Ästuar unter heller Haut.
Blutstromkilometer Neunzehnhundert.
Hinter uns liegt Theaterblut und liegt Filmblut, das mit künstlicher Deckkraft, auf dasz auch der dunkle Teppich, auf dem das Mordopfer drapiert, geziert wird von rot-glänzenden Lachen.
Hinter uns liegt Menstruationsblut, durch Oxydation, Gewebereste und Hormone oft bräunlich. Hinter uns liegt Herzblut, etwas wie Blut-Blut, es kommt daher und flieszt dahin, und doch scheint es dicker zu sein.
Hinter uns liegt venöses, arterielles, liegt Blutsbrüderblut und Spenderblut.

Auf einer umstrittenen Insel flieszt auf der einen Seite lutherischer Blutswein in Trost-lechzende Kehlen. Auf dem katholischen Inselteil verwandelt sich unablässig Wein in Blut, kaum schenkt der Priester Wein aus. Er und sein Gott wandelt tatsächlich und dauerhaft Rebensaft in Blut. Beide Christi-Blut-Rotweinflüsse sind chemisch Wein und spiritualiter oder figuraliter Blut. Für Unterschiede und Folgen konsultieren Sie Ihren Bischof oder Theologen.

Wo aber flieszt das blaue Blut?
Um 1900 kam diese Erklärungsgeschichte auf: als „sangre azul“ durchflieszt es zuerst die europäische Geschichte. Es käme aus dem maurischen Kastilien (8. bis 15. Jahrhundert) und sonderte damit die eingewanderten adligen Westgoten, die hellere Haut hatten, von den Juden und Mohammedanern ab. Mit denen sie sich nicht vermischten. Das mochten die Männlein, die Trinkhallen an den Blutbächen und Blutbuchen errichtet hatten, wie schön, das Blut der Anderen. Und haltet Euer Becherchen rein, denkt an den Wein, denkt an den Rhein.
Der Nachteil der Erzählung ist, dasz sie erst bei Stromkilometer 1900 auftaucht. Es gibt keine mittelalterlichen Quellen dafür. Viel wahrscheinlicher hat die Unterscheidung zwischen Adern- bzw. Adel-Sichtbarkeit mit Arbeit und Nicht-Arbeit zu tun: vornehm blasz macht die Stubenhockerei, sonnen-braun die Arbeit auf dem Acker. Der Hautkrebsbefördernde Massentourismus des 20. Jahrhunderts macht Schlusz mit diesem Ideal.

Und mit Licht, künstlichem oder echtem, hat auch die wahre Erklärung zu tun. Wieso flieszt Blut blau – wo es doch in echt rot ist?
Trifft das Tageslicht auf die zwischen einem halben und zwei Millimeter unter der Haut liegenden Adern, so wird das kurzwellige blaue Licht reflektiert, während der langwellige rote Anteil absorbiert wird. Denn rotes Licht dringt tiefer in die Haut und wird vom Blut absorbiert. Und übrig bleiben die blauen Anteile. Die sehen wir. Leuchten wir mit der Taschenlampe auf die Haut, ist das Blut, was es ist: blutrot.

Ein eigen Ding ist es bei der Blutsverwandschaft im Adel. Blutsbande – rot müszten sie ja sein. Rote Schnüre oder Rinnsale. Doch auf einem „Stammbaum“ der Habsburger wachsen aus der Brust der Männer Äste zu ihren Söhnen. Zu den Stammhaltern. Baum-Blut also. Ewiges Rätsel der Fortpflanzung von Mann zu Mann; die Männlein an den Blutstaustufen ziehen rote zappelnde Engerlinge aus den Flüssen.

Die Blaublütler saufen Blut, das weisz doch ein jeder. Saufen Blut als Metapher für: Beuten das Volk auf das Gemeinste aus. Blutstromkilometer 1611: die ungarische Gräfin Elisabeth Bathory wird als Serienmörderin verurteilt. Das ist das Bett oder Beet für die Legende der Blutgräfin. Es ist zu vermuten, dasz sie einige ihrer jungen weiblichen Bediensteten folterte. Das Züchtigungsrecht war auf ihrer Seite. Zwischen 4 und 80 Mädchen starben laut den unterschiedlichen teils unter der Folter erpreszten Zeugenaussagen. Die Gräfin wurde nicht vernommen. Mögliche Teil-Aspekte der Anklage: sie war sehr reich, d.h. sie verfügte über viel Grundbesitz. Sie war Familienoberhaupt. Sie war lutherisch in katholischem Land. Sie starb 1614 nach 4 Jahren Haft in ihrer Zelle.
Zum ersten weiblichen Vampir, zum Urahn der Spuk- und Horrorgeschichten, zur älteren Schwester von Graf Dracula machte sie erst gut 100 Jahre später ein ungarischer Jesuit 1729. Die mordende Gräfin bemerkt zufällig, dasz Blutspritzer der jungen Dinger ihre Haut verjüngen. Demnächst badet sie in deren Blut. Und in späteren Versionen haut sie ihre spitzen Eckzähne in die hübschen Hälse der Mädchen, die wir uns hingebungsvoll vorstellen.

Es gibt unterirdische Blutadern, die statt Sauerstoff blutrünstige Sagen und Legenden transportieren. Vom oberirdischen Blutstromkilometer 1144 bis zu den aktuellen Anpassungs-Arbeiten am Strom führt ein Blut-Trink-Motiv. Die Blut-Bestandteile sind Ritualmord, Kinderblut, ewiges Leben, Weltverschwörung. Viele hundert Blut-stromkilometer diente die Ritualmordlegende als Mord-Motiv an Juden. Aktuell stillt eine geheime globale Elite ihren Blutdurst in Kellern und geheimen Verliessen. Sie hält Kinder gefangen und zapft ihnen Blut ab, um einen Zauberstoff (Adrenochrom) zu gewinnen, der ihnen Welt-Macht und ewige Jugend garantiert. Dies fiktive Blut verwandeln sie, ich nenne sie einfach sie, dies fiktive Blut verwandeln in echtes, es hört nicht auf, es hört einfach nicht auf.

 

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