Alltag

Abfall

Abfall sind wir ja selbst – Gottes Abdruck, d.h. Gott hat uns ausgedrückt aus seinem Gesäsz, kleine Würstchen, die wir sind. Wird das Würstchen aufmüpfig, meint es, selbst Gott produziert zu haben. Klar, dasz wir aus der Abfall-Story nicht so schnell herauskommen. Wir sind sie schlieszlich selbst. „Nimm mich mit. Dein Müll!“

Vom Abfall

Zum Aperitiv drei Aufklärungen von Wiebke Johannsen

Es spricht zu Euch die Abfallanwältin des Abfalls erster Ordnung und die Abfallbeauftragte der Gesamtgemeinde Hadern. Das bedeutet Brücken-Schlagen zwischen dem ALL-EINEN und dem letzten Müllbeutel, den Du gestern/ heute in den Müllcontainer fallen lieszest. Wir alle werden einen Pfad abschreiten zwischen göttlichem und menschlichem Abdruck. (Zwischen Aperitiv und Dessert.) Es wird Nähren und Erleuchten, denn Leib und Seele seid Ihr! Abfallanwältin des Abfalls erster Ordnung und Abfallbeauftragte der Gesamtgemeinde Hadern sein und davon sprechen, bedeutet überdies: Zwei Ehrenämter, deren resultierende persönliche Befriedigung im scharfen Wider-streite liegen zur meszbaren gesellschaftlichen Reputation, das musz ich sagen.

1. Vom Abfall erster Ordnung

Kosmische Mülltrennung begann mit dem Satan und wir folgten ihm nach. Die Welt, alles was der Fall ist, Zeit gleich Mülltrennung, immer mehr Abgründe und Tonnen tun sich auf, der erste Fall ist Abfall und zuerst fallen die Engel, einige von ihnen sind es wohlgemerkt nur, zuerst fallen die Engel von Gott ab.
Wir sind am Anfang angekommen.
Vorher brachte LUZIFER das Licht, Luzifer-Morgenstern-Venus. Die Engel stürzen zur Erde, weil sie abgefallen waren. Der Abfall ist der tiefste Fall. Im Fallen des Abfalls verkehren sich die Koordinaten, gut und böse und oben und unten. Jetzt beginnt die Geschichte. (Aber das ist allgemein bekannt.) Einige Engel waren aisch, sie waren impertinent, sie insubordinierten und fielen uns in den Schosz, weshalb dieser ebenfalls verflucht ist. In keine Tonne paszt der erste Abfall und wenn wir eine packen sollten, ich packe meine Tonne und dann Du, dann hocken wir alle drin, Kehricht, Spreu, Mist. Eine abfallende Linie über uns anstelle eines bergenden Überhangs oder Überwurfs. Nach dem ersten Fall kommt der zweite, der wir sind, wir sind von Gott und vom Glauben abgefallen. Viele auch von der Lehre in die Leere, Abtrünnige, ab in die Tonne. Kennt Ihr den? Luther predigte: „Ich sage oft und immer wieder: der Abfall von der Lehre ist nicht menschlich, sondern teuflisch. Er ist ein Sturz aus dem höchsten Himmel in die äuszerste Hölle.“ Vielleicht war das aber auch blosz früher und heute werden die Menschen geworfen, Menschen werfen sie in Höllen und Menschen versuchen zu fliehen und kauern in Containern, frierend und dürstend.

Dieser Abfall, der wir sind, war Gottes Abdruck, d.h. Gott hat uns abgedrückt aus seinem Gesäsz, kleine Würstchen, die wir sind. Wird das Würstchen aufmüpfig, meint es, selbst Gott produziert zu haben. Entsprechend armselig fällt so ein Ebenbild dann aus. Wieder ein Abfall. Ein Durchfall ist ein Auswurf Gottes, zu dem den Menschen nichts einfällt.
Abfälle gehen über Grenzen, fallen durchs All, werden durch den Anus gedrückt, fliehen über Ländergrenzen, überschreiten von Autoritäten gesetzte Grenzen. Der Abfall erster Ordnung, Produkt der ersten Ausscheidung und Aufräumung, ist ausgehöhlt und ausgeliebt. Der Mensch ist unter allem Affen. Manche sagen „Sau“, um sofort bei allen Tieren um Entschuldigung zu bitten.

Das Haus des Abfalls hat viele Zimmer und seine Wände sind mit Makulatur tapeziert. Wenn wir etwas hineinrufen, kommt es besudelt zurück, was den einfachen Grund hat, dasz makulare fleckig machen, besudeln heiszt. Es heiszt aber auch, dasz ganz bald, beantragt sei ja alles, die Wände neu tapeziert werden. Warum geschieht das nicht? Was zum Teufel ist hier eigentlich los?
Alle Klagen und Anklagen kommen zur Urheberin zurück als übel riechender Wind. Vermutlich sind die bestellten Handwerker von der Fahne gegangen – ein Ausdruck, der eigentlich schon auf dem Müllhaufen der Geschichte lag und gerade wieder gern herumgereicht wird – sind abgehauen, um es abfälliger zu sagen, sind abgefallen, um sie in einen heilsgeschichtlichen Kontext zu heben.

Womit aufgezeigt worden ist, dasz wir aus der Abfall-Story nicht so schnell herauskommen. Wir sind sie schlieszlich selbst.

2. „Nimm mich mit. Dein Müll.“

In dieser Aufforderung, die wir übrigens in der Gesamtgemeinde Hadern an jeder Werbewand und in jeder Personenbeförderungseinheit des ÖPNV plakatiert haben, kommt der Müll zugleich zu uns und zu sich. Der Müll wird ein echter Partner. Da wir uns eben dem Abfalle und uns genähert haben, eine kurze Müll-Abfall-Unterscheidung. Hausmüll, Müllabfuhr, Müllschlucker. Vgl. Hausmaus, Triebabfuhr, armer Schlucker. Der Müll ist erdnah, der Müll ist sympathisch, der Müll hat kein Imageproblem. Über dem Müll schwebt ein blauer Engel. Atommüll ist ein schöner Euphemismus für etwas, wofür Worte und Orte fehlen.
Müll wird – meist von Frauen und Migranten – getrennt und angeblich bekommt er eine zweite Chance, wird wieder etwas, kehrt zurück. Manchen Ortes gar existiert er nicht mehr, ist aufgefahren zu den Wertstoffen und gebietet über prächtige Höfe in allen Städten unseres Landes. Und doch ist das einzige, was wir sicher über ihn, den Müll wissen, dasz er vor 800 Jahren mulli, dann mulle und mul hiesz. Feine Erde, Sand im Niederländischen. Später Müllen für Zerstoszen, Zerreiben. „Erst im 18. Jahrhundert wird das bis dahin nur im Norddeutschen übliche MÜLL in die hochdeutsche Schriftsprache aufgenommen.“ (Etymologisches Lexikon des Deutschen.) Wie fein das ist.

„Nimm mich mit. Dein Müll!“ Seit dem 21. Jahrhundert spricht der Müll zu uns. (Wie IKEA duzt er uns.) Wahrscheinlich ist Deutsch die Muttersprache des Mülls. Über die Ursachen des Sprechens des Mülls gibt es noch keine belastbaren Studien. Auf roten Müllbehältern wirbt der Müll für sich, fordert Nachschub. Wir lesen: „Fällt etwas ab für mich?“, „Gib mir den Rest!“, „Ich will keine Schokolade, ich will das Papier!“ Mit „Nimm mich mit, Dein Müll!“ spricht ein Ebenbürtiger, was ja eben auch genau der Fall ist, siehe Abschnitt eins.
Wie kommt der Müll zur Sprache? (Die umgekehrte Frage, wie Sprache zu Müll wird, stellen interessierte Kreise mit bildungsbürgerlich-kulturpessimistischem Hintergrund hingegen oft und mit vergleichsweise kargem Ergebnis.)
Die von der Abfallbeauftragten der Gesamtgemeinde Hadern in Zusammen-arbeit mit der Bundesbeauftragten für Recycling-Fragen vertretene These lautet: Es west im MÜLL ein Rest des Lebens – wahlweise: der Seele, der Liebe – die wir einst hineintaten in die Dinge, da wir sie begehrten und erwarben. Die Dinge sind unser Ding, da wir hineintun unsern Odem oder Chi oder etwas noch gröszeres, bislang unerforschtes.
„Fällt etwas ab für mich?“ fragen die von uns für tot Erklärten.
Sie speichern unsere Sprache, denn sie sind unsere Abgötter.
Je mehr Dinge produziert werden und je mehr wir sie erst begehren, um sie dann wieder abzustoszen, desto mehr werden die Dinge zu unseren Widersachern und Wiedergängern.

Also: der Ausschusz wählt einen Ausschusz, der spricht. Der Unrat weisz keinen anderen Rat, als den, zu reden. Wir üben uns in Ignoranz.

3. Müll-Messias und Messies

Wir sind abgefallen, wir sind angerufen worden und drittens reisen wir in ein Reich von eigener Art. Wir kommen nicht hinein, wir chartern ein Kleinflugzeug und gleiten über Gebirge und enge Täler, über tief eingeschnittene Canyons und zackige Hochplateaus. Die Landschaft scheint wenig erschlossen, obwohl Menschen in ihr leben. Sie haben sich Gänge gegraben – doch halt, es könnte auch umgekehrt sein: Die Menschen in der verdichteten, diversen Dingwelt haben diese Landschaft generiert. Doch werfen wir in einer tiefen Linkskurve einen Blick nach unten. Da türmen sich Tüten, Kisten, zusammengeschnürte Schnüre aller Materialien, Werbeprospekte, Kleidungsstücke verpackt und nackt, Kochrezepte, Papier in allen Stadien der Alterung, Verwesung. Es sind Teller mit Essensresten aller Kulturen zu sehen. Leere Behältnisse aller Art bilden Zinnen, Zacken und Wehrgänge. Staub und Spinnweben und die Aussonderungen von Kerb- und Nagetieren bilden Humus für kommende Zivilisationen.  Es wird mindestens wöchentlich angebaut, viele der Landschaftselemente stammen von ambulanten Altwarenhändlern oder aus Krambuden, die Nachlässe Verstorbener feilbieten. Wir drehen ab und verlassen die blühenden Landschaften. Ja, alles blüht. Die Mensch-Müll-Beziehung kommt im Messie-tum zur höchsten Blüte. Menschen haben wir jetzt gar nicht erblicken können.
Als gesichert kann gelten 1. Nie war die Beziehung Mensch-Ding enger. 2. Wir können nicht sagen: nie war es falscher, hier von der Beziehung Mensch-Müll zu sprechen, denn wir befinden uns in einer Wohnung, die bewohnt wird.
In der Perspektive der Bewohner, die von Anderen „Messies“ genannt werden, das kommt von engl. Unordnung, Chaos, sind die Dinge, die aufgehäuft werden, Dinge, die gebraucht werden können und die nicht abtrennbar sind.

Zwei Erklärungen bieten sich an. Erstens handelt es sich um eine Ding-Diktatur. Die Dinge haben die Herrschaft übernommen, sie regieren über die Menschen, sie haben den Raum übernommen, sind eingefallen und werden höchstens bedroht von Wohnungsgesellschaften, von Nachbarn, die sich beschweren und an die Obrigkeit wenden. Der zweite Ansatz legt die Macht in den Menschen und seine radikale Liebe zu den Dingen. Und sind nicht alle Pappen, Joghurt-Becher, Schnürsenkel und Einweg-Gabeln hergestellt worden, damit der Mensch sich damit umgibt, sich damit vertraut macht und schützt?
Ist nicht der Anzeigenteil einer zwanzig Jahre alten Zeitung hergestellt worden, auf dasz der Leser liest? Unnütz ist schlieszlich nichts auf der Welt. Und stärker noch als alles Brauchbare, Reparable oder Rätselhafte ist der Wert der Erinnerung, der den Dingen anhaftet. An was, wenn nicht an Besitz dürfen wir uns klammern? Was, wenn nicht Besitz spendiert Trost. Geh nicht weg, mein Müll, falsch, Bleib mein Besitz.

In regelmäszigen Abständen schockieren Tageszeitungen ihre Leserschaft mit Photos von regionalen und gerade entdeckten Messie-Landschaften. Beim Entfalten der Tageszeitung fällt ein Prospekt eines Einrichtungshauses am Stadtrand heraus, glatte Flächen, eine Welt aus Kuben und warmem Licht, selten sind Personen hineindekoriert, immer aber tote Pflanzen und stehendes Stroh, Rutenbündel, die Attribute der Concordia, eines läszt sich brechen, niemals das ganze Bündel.

Eine klinische Diagnose steht noch aus. Der Berufsverband Deutscher Psychologen schätzt, dasz es in Deutschland etwa 1,8 Millionen Menschen mit Messie-Syndrom gibt. Psychologen müssen schätzen und zählen, wie Messies ihre Schätze horten müssen. Doch die Desorganisationsproblematik – wir müssen schlieszlich nicht immer englische Wörter benutzen! Zumal die Psycho-pathologie das Syndrom im Englischen als Compulsive Hoarding kennt – geht häufig mit Angstzuständen, Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen einher.

Es ist alles gut. Zugleich mit jeder Gefahr naht Abhilfe, jedes Problem birgt die Lösung in sich. Das Messie-Syndrom ist in der Welt, seit die US-amerikanische Sonderschulpädagogin Sandra Felton vor 30 Jahren eine Selbsthilfegruppe gründete und Ratgeber-Bücher schrieb. Kleine Lehrerin ganz grosz! Gut gemacht, Sandra! Was machst Du jetzt eigentlich? Eine Haushaltshilfe müszte doch jetzt mindestens drin sein. Aber, Klasse, Sandra und Danke auch! Obwohl, gröszer noch wäre es ja, das Syndrom nach sich selbst zu benennen. Feltontum, Feltonissmus, Felton-Syndrom. Alles ist gut, spätestens, seit es den Ratgeber von Mindy S. Clark gibt: „Das Haus, das sich von selbst aufräumt.“

In Wahrheit ist das Leben ein Drecksleben, Möbelhaus-Katalog hin, Messie-Wohnung her. Niemand weisz es besser als das Messie. Es allein weisz, dasz Tohuwabohu, neulich erst hat Frau Steinhausen aus dem ersten es zu Herrn Pipping vom Dachgeschosz gesagt, dasz Tohu wa bohu Wüste und Öde bedeutet. Eins Mose eins-zwei.

(geschrieben für den Salong! „Her mit der Marie“ im Haus Drei, Hamburg im September 2010)