Heimat

Besuch in Bendestorf

Hollywood in der Heide“ wurde das verschnarchte und wohlhabend wirkende Bendestorf einst genannt. Die Autorin suchte das dortige Museum auf und berichtet.

Überall gibt es Löcher und kleine Risse in der Auslegeware, die über die Erde gespannt ist. Falten sowieso, die Heidelandschaft am Kleckerwald ist hügelig. Das ist ein Bild. Es stimmt alles, es ist alles sicher, manchmal hilft ein Bild das erst unpassende zu sortieren. Hindurchgucken und Staunen. Früher im Lichtspieltheater Capitol oder Rialto. Oder im Apollo einen Direktflug ins Rokoko oder in die Steinzeit machen. Löcher im Teppich legen frühere Zeiten frei. Detailaufnahme Bendestorf: Ein Hotel mit geschwürartigem Reetdach, das schwer an Dachgauben trägt, zum Parkplatz Strohballen in Futterraufen, nennt sich historisch. Ich nenne es Urlaub. Wie gut das in einem Luftkurort geht, regelmäszig zertifiziert. In der Luft von Bendestorf müssen die Sehnsüchte der 1950er Jahre liegen, Filme mit Titeln voll Weiter Welt, Heimat und Ordnung, Sündiger Stadt oder festem Glauben wurden hier gedreht:  „Die Diebin von Bagdad“ (Sonja Ziemann und Rudolf Prack), „Der Heideschulmeister“ (Käthe Haack und Heidi Brühl), „Das Mädchen aus Hamburg“ (Hilde Knef und Henry Vahl), „Ave Maria“ mit Zarah Leander. Oder die Botschaft, dasz keine Zeit vergangen sei: „Sensation in San Remo“, ein Revuefilm mit Marika Rökk von Georg Jacoby, dem bewährten Regisseur und Gatten, der ein eigenes Genre schuf, den Rökk-Revuefilm, Fröhlichkeitsexplosionen, Trutz und Trost, Truppenunterhaltung. Das amerikanische Auftrittsverbot bis 1948 empfand die fesche Ungarin als sehr ungerecht. Ihre Tochter war auch immer der Überzeugung, dasz die anbetungsvollen Briefe an den Führer, unter denen Muttis Name steht, nicht von ihr stammen können. Hier in Bendestorf haben Marikka Rökk und die anderen Darstellerinnen und Darsteller im Hotel, das sich heute historisch nennt, gewohnt, nur der Boden der Diele war der gleiche wie heute, Katzenkopfpflaster.
Die Studios, in denen gedreht wurde, stehen noch und könnten, straszenseitig gesehen, die Studios sein, in denen ein Film über Film in den 1950er Jahren gedreht wird. Unter der peitschenförmigen Laterne mit dem Zementbröckeln steht ein Mann in zu weitem Anzug mit zwei zugeschnürten Margarine-Kartons und einer Vision im Blick, so lieszen sie den Film beginnen, der Mann hiesze Rolf Meyer, „Meyer mit Ypsilon“.

1951, das Jahr der „Sensation aus San Remo“, war ein sehr fruchtbares Filmjahr. In Bendestorf wurden auch zwei Filme produziert, die mit Skandal bzw. mit Nichachtung verbunden bzw. versenkt wurden. In der Erinnerung hat sich der Skandal verdoppelt: da ist der damalige, der Protest von Kirchenoberen gegen den Werteverfall, gegen Prostitution, Sterbehilfe und Suizid in der „Sünderin“. Mit, trotz oder dank des Einbringens von Stinkbomben und weissen Mäusen in die Kinosäle ein Kassenhit. Hildegard Knef ist für Sekunden von fern ganz nackt zu sehen, was man heute für den damaligen Skandal hält. Umgekehrtes Kintopp, nicht mit dem Apollo in ferne Zeiten fliegen, sondern aussteigen aus der Zeitkapsel: Wir haben es weit geschafft. Früher war früher.

Auch 1951, verbindend und überzeitlich: „Grün ist die Heide“. Nach Hermann Löns. Ein Vertriebener, ein Wilderer, ein Flüchtlingsmädel. Nicht in Bendestorf gedreht. 16 Millionen Zuschauer.

„Der Verlorene“ von 1951 war der qualitätvollste Film und ein kommerzieller Miszerfolg, der nur wenige Tage im Kino lief. In weiser Voraussicht und mit eben der Begründung des erwartbaren Miszerfolgs hatte es keine Bundesbürgschaft gegeben. Regisseur und Hauptdarsteller ist Peter Lorre. Er spielt einen von den Nazis benutzten Forscher, der unschuldig schuldig wird und nach dem Krieg einen ehem. Kollegen und Nazi ermordet. Lorre ging wieder nach Los Angeles.

1945, UFA kaputt, nein, der Russe zieht in Babelsberg ein. „Die Mörder sind unter uns“ die erste DEFA-Produktion. Viele tauchen ab oder unter, Meyer geht nach Niedersachsen. Die Engländer erteilen ihm Film-Lizenz und machen ihn zum Bürgermeister.

Bendestorf, das Dorf hart an Wald und Heide, Berg und Tal, bot Tiefpunkten der Filmkunst Heimstatt. In der Poststrasze, in diesem Monat wird die Post schlieszen, gewährt das „Filmmuseum Bendestorf“ einen Blick auf die Heimat-Höllen und Heide-Schmonzetten, ein halbes Jahrhundert ist ein Tag. Über Carl Fröhlich, einst Präsident der Reichsfilmkammer, zeigte man eine Ausstellung „Der Mann, der Goebbels ohrfeigte“ und erhob filmreif Legende zur Tat. Der Rentner der sonntags her radelt und das Museum ehrenamtlich für zwei Stunden aufsperrt, erscheint der Besucherin wie ein mitgealtertes Remake eines Wirtschaftswunder-Films oder die Rückverfilmung der zwanzig Jahre später geschriebenen Knef-Erinnerungen an Bendestorf und an Willy Forst, ihren Regisseur. Bei dem leutseligen Ehrenämtler und Vergangenheitshüter ist es wohl vor allem die grosze weisze Schiebermütze. Und der Teint, der nach Selbstbräunungskrem aussieht. Seine Stimme ist zu laut für geschlossene Räume. Ich höre die sonore Stimme der Knef:  „sein Sommerfrischlergesicht scheint nichts zu wissen von Krieg und Hunger, Besatzung und Flucht, unzuständig für Tragisches, nicht aufnahmebereit für Chaos und Untergang; ein heiterer Monarch … Er stülpt sein Lächeln über andere wie einen Kaffeewärmer.“
Der Rentner versichert, es sei gerade jetzt die richtige Zeit, da gleich eine grosze Gruppe käme, sie habe sich angekündigt, ja, gewisz.

Aus dunklem Holz geschnitzt und zum Teil mit farbigen Tierdarstellungen versehen, sind nicht die Spasz-Schilder auf dem Rummelplatz, sondern die Straszenschilder im Luftkurort Bendestorf: dunkles Holz, geschnitzt. Mühlenweg, Quellenweg, launig „Antiker Gasthof“,  Heinrich-George-Weg, Otto-Gebühr-Weg. Otto Gebühr spielte in nach-friederizianischen Zeiten in „Sensation in San Remo“ einen Schuldirektor. Es gibt keinen Peter-Lorre-Weg, denn Peter Lorre ist böse, ein Fremdkörper in der Heide, eine Mördervisage, ob man „M“ gesehen hat oder nicht, sein wirklicher Name lautete Loewenstein und er lebte lange in den USA.
Sonja Ziemann und Rudolf Prack sind ab 1951 Heimüt – die beiden Motive amalgamiert, machten doch Fans wie Spötter aus beiden die Marke „Zieprack“. 1951 das „Schwarzwaldmädel“, das aus einleuchtenden Gründen nicht in Bendestorf produziert wurde, guckten vierzehn Millionen. Die Landschaften muszten Menschen-abweisend und ausgemalt sein: Der Schwarzwald, Die Heide, Die Nordsee.

Die Heide ist ausgeweidet und leergesehen. Im Hochsommer blüht die anspruchslose Pflanze mit dem weiblichen Vornamen. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, zwei drei vier, drei Paukenschläge, das Blümelein der Heide und das Mägdelein der Heimat anzusingen. Doch wer kann das heute noch.
Und wer weisz, was hier echt und was Kulisse ist. Unten im Gemeindesaal werden ab und an die alten Heimatfilme gezeigt, man dürfe das, man verdiene nichts daran, ganze Busladungen kämen, um zu schauen. Das Staunen verläszt die Bendestorf-Besucherin so schnell nicht. Überall diese Löcher im Boden, die einen ins Früher fallen lassen.
Am Waldweg und am Tannenweg gehören die Zäune zum Schönsten. Hier scheint der Goldhügel zu sein, ob hier die Axel Springers Mutti Ottilie (die auch tatsächlich Goethe-Verehrerin war) in den 50er Jahren residierte und sich von seinem Chauffeur Brötchen aus ihrer Hamburger Lieblingsbäckerei bringen liesz? Namen fehlen an den Wald-grundstücken. Die Besitzer haben ihrer beweglichen Habe Tempel oder Fachwerkhäuschen in bevorzugter Lage errichtet, damals, als Limousinen noch runde Kotflügel hatten und ihre Besitzer auszeichnete. Heute nurmehr Fluchtwagen, immer mehrere, das Leben ist woanders.

Der Mann, der Meyer hiesz und die Bendestorfer Junge Film Union 1947 gründete, war Drehbuchautor bei der Tobis gewesen. Neunzehn eigene Filme bis 1951. Der erste Film ist eine Flüchtlingsgeschichte: „Menschen in Gottes Hand“. Das Filmmuseum bewahrt Meyer ehrendes Angedenken. Kopierte Zeitungsartikel von damals zeichnen das Bild eines Bankrotteurs und Betrügers,
einer bipolaren Persönlichkeit, der fremdes Geld, etwa das von staatlichen Bürgschaften generös verteilt. Wegen Konkursvergehen musz er in Haft und kommt gegen 45.000 Mark Kaution frei – offenbar hatte er immer Getreue.

Lüpft die Besucherin die Bendestorfer Heidedecke, zeigt sich die Vergangenheit jung, denn hier leben sie, die groszen Emotionen, Treue und Unwahrheitsliebe, Verehrung und Verstoszung und überall wechselt der Film das Genre.