* für Melanie
Ich geh da ja immer spazieren, mit Leuten, für Geld, es ist einer der Orte meiner Stadtführungen, der kommerziell erfolgreichsten, der Kiez-Touren. Die kreisen offiziell um Häuser und Blocks, in Wahrheit aber um Geschichten, Mythen und Lügen. Einige haben Film-Ursprung: der Name „David(s)wache“, die „Grosze Freiheit Nr. 7“ und das „Gelbe Haus am Pinnasberg“. Ein Bordell, das seit seiner Erfindung existiert – allerdings nur noch bei Älteren wie mir.
(Vorrede:)
Von Roman und Film blieb (blosz) der Titel, es blinkt das gelb und es lockt der Pinnasberg, der Untertitel verortet die Immobilie in St. Pauli. Den Älteren ist es automatische Assoziation wie Grosze Freiheit – Nummer Sieben. (oder: Ich bin die Christel – von der Post.) Ihnen und den durch derlei Kurzschlüsse unblockierten, in Landräumen und Zeitschaften mobileren Jüngeren; und, anders gedacht, allen AnwohnerInnen und BesucherInnen ist dieser Spaziergang gewidmet.
1. Ortsbegehung
Kein Trassierband, kein am Himmel festgetackerter Hubschrauber, keine Einsatzwagen von Schutz- und Rettungskräften markieren den Unfallort, insofern mögen wir für die Faktizität des schlimmen Ereignisses keine Hand ins Feuer legen. Eine Havarie am Geestbuckel eine Seemeile vor Hamburg, heutigentags kirchengekrönt und parkgesäumt. Kapitän und Steuermann mal wieder volltrunken, ganz plötzlich hatte sich ein gräulicher Nebel über die Szene gesenkt, wie wenn Petrus einen schmutzigen Feudel vom Firmament warf und nun sahen eventuelle Passanten ein traniges Licht an ungewohnter Stelle. Es verlosch und erst als der Natur-Vorhang sich Stunden darauf hob, war die geschnitzte und begoldete Holzwand mit Fensterlein zu sehen. Die gehörte nicht hierher – wir kennen sie aus alten Schiffsabbildungen, es bläst der Wind von achtern in Mast und Segeltuch, als sei es der Buchstabe P. Das Heck wendet das Schiff dem Betrachter zu, als sei es ein wunderlich bemaltes Gesicht. Blümchen, Säulchen und Figürchen über der Gischt, jetzt aufgebockt auf dem Geestbuckel, zuschanden das ganze Glanzbild. Schön der Name: Spiegelheck. Sofort hatte sich die Besatzung verdünnisiert. Interessant auch die Frage, ob man etwas hören konnte. Rissen die Segel, barsten die Masten, platzte der Rumpf auf? Das Schiff, welches hier auflief und welches dem Hügel der Vorstadt den Namen gab, hiesz vom Holze her, aus dem die ersten, weit kleineren, gemacht worden waren: Pinus, die Kiefer. Die Pinass oder Pinasse.
Vielleicht stand die Hauptkirche St. Michaelis schon, der Schiffstyp der Pinasse, ein schnelles, mit 18 bis 36 Geschützen bestücktes Transport- und Handelsschiff, 22 bis 48 Meter lang, 20 bis 200 Mann Besatzung, drei hohe Masten, schmale hohe Rahsegel vorn, achtern ein Rah- und ein Besansegel, wurde im 17. und 18. Jahrhundert gesegelt, dreckige Neger-Sklaven und duftende Gewürze aus Asien im Bauch. Ein Ostindienfahrer, wir wissen heute kaum noch, wo das ist, obwohl die Zielgebiete deutlich markierten: Britisch-Indien, Französisch-Indien, Niederländisch-Indien und Portugiesisch-Indien.
Es war bestimmt so: Einer, der mitgefahren war, ein Jan oder Claas, einer der noch eine andere und kleinteiligere Vorstellung vom Leben hatte als Kimm und Rum und Sturm, machte eine Pinte, eine Kneipe auf am Hang. Und in der Nacht vor der eigentlichen Existenzgründung träumte ihm, sein Schiff mit drei Masten, die Therese, lief auf Grund und eine Bö drückte es auf die Seite. Diesen Moment aber, die noch getakelten Masten tauchten in die schaumige See, sah Jan oder Claas von oben und erwachend rieb er sich die Augen. War er eine Möwe oder sollte dieser Traum ihn nur vor den Gefahren an Land, dem Risiko eines Schankwirtschaftsbetriebes warnen? Er entschied sich für ein Drittes: seiner Agnes auf das Hinterteil klopfend, rief er aus: „Pinasse“ soll mein Lokal heiszen. Oder so ähnlich, denn wir wissen ja nicht, wie genau Jan-Claas sprach.
Dasz der Weg am Hang seit dem 18. Jahrhundert Pinnasberg heiszt, ist indes verzeichnet und nachlesbar im „Lexikon Hamburger Straszennamen“, Hamburg 2002.
Kneipen sind wie Leuchttürme. Straszennamen braucht es nicht, nur Landmarken, Krüge, Wirtschaften. Auch Altona und das Nobistor sollen Spelunken-Namen gewesen sein. Ausgetrocknet ist übrigens auch die Pepermölenbek am Fusze des Pinnasberges, die Grenze hin nach Altona, die inzwischen hochgehüsert wurde. Ein Licht lockt Trunkene, Dürstende, Unbehauste. Sie überqueren Ströme und Planken, Riff, Rocksaum, Hosenzwickel, jedwede Grenze.
Ehe wir das Haus am Pinnasberg betreten, sehen wir uns noch im Farbgeschäft um. GELB. Bitte um Beratung: Wenn ich GELB nehme, was kriege ich da genau? Gelb ist irgendwie unten, gelb ist verächtlich, gelb ist Hepatitis und Antisemitismus, Gelb ist Neid und gelbe Gefahr (aus Asien), hinter dieser gelben Linie darf geraucht werden, doch nur bis zur Präsentation der gelben Karte. Gelb ist das nicht gekonnte Gold, gelb ist Schwefel, gelb ist sauer. Aber Moment mal! Die liebe Sonne ist doch auch gelb. Mhm. Nach dem Pantone-Farbenfächer könnte das Cadmium-Yellow sein – und da haben wir es wieder: Gift. Ich bekomme bitte einen Topf!
2. Traum und wahr
Der Roman „Das gelbe Haus am Pinnasberg“ enthält weniges Wahres und viel Höheres im Sinne von gewünschte Wahrheiten der Autorin und ist daher als Literatur anzusprechen. Betreten wir mit Bengta Bischoff den Ort der Handlung, der zweite Absatz beginnt mit einer treffenden Beobachtung:
„Viele Autos kommen aus verschiedenen Richtungen. Vom Pinnasberg, Antonistraße, Bernhard-Nocht-Straße und Hafenstraße. Wenn man an dieser Kreuzung über die Straße gehen will, heißt es vorsichtig nach allen Richtungen schauen und aufpassen. Pausenlos kommen kleine und grosze Wagen angeflitzt.
Pinnasberg ist eine schmale, romantische Straße, die etwas bergab geht in Richtung Fischmarkt. Am Sonntagmorgen zwischen sechs und zehn Uhr ist immer viel Betrieb, dann dürfen die Händler dort verkaufen. (…)
Auf der linken Seite vom Pinnasberg, ziemlich in der Mitte, steht ein drei-geschossiges, okergelbes Haus. Die Fensterrahmen sind grün und die Haustür dunkelbraun. Einige Bewohner in dem Haus wohnen nach hintenraus und haben einen herrlichen Blick über den Hafen und hören das Gedröhne der Werften. Sie sehen die ein- und auslaufenden Schiffe, was immer ein imposanter Anblick ist. Die vielen grün-weißen, kleinen Ausflugsdampfer schwimmen in verschiedene Richtungen, sowie die Barkassen und kleinen Schiffe, womit die Arbeiter und Angestellten in die Betriebe gelangen. Vor allen Dingen wimmelt es von Schleppern, die immer einsatzbereit sein müssen. Die Bewohner im gelben Haus erleben auch so manchen Stapellauf mit.“ (S. 5f)
Wir halten fest: Die Autos und die Dampfer fahren in verschiedene Richtungen und so auch die Menschen in ihnen. Sie sind verschieden von uns, das signalisiert uns der Text, der sich auf vertrautem Terrain anzunähern scheint.
Wir halten zweitens fest: Der Text ist historisch, kein Gedröhne der Werften, kein Stapellauf ist über 40 Jahre nach der ersten Text-Drucklegung zu vernehmen. Kaum jemand gelangt per Barkasse in den Betrieb. Die Roman-Straszen sind lauter als die realen, jedenfalls, was den Auto-Verkehr angeht.
Blosz ockergelb ist das Haus. In unserer Vorstellung leuchtete es doch eben noch. Nun aber hinein ins gelbe Haus und hören, was das Haus verschieden macht von anderen.
(Gleiche Seite, unten:)
„Das gelbe Haus am Pinnasberg ist ein Bordell, wo nur Männer wohnen. In diesem Haus geht es umgekehrt zu. Frauen, junge und ältere, gehen dorthin, weil sie sexuell vereinsamt sind und keinen Partner finden können. Manche Mädchen und Frauen bleiben wegen ihrer Häßlichkeit ewig unbefriedigt und lernen niemals die himmlischen Freuden der Erotik kennen.“ (S. 6f)
Wir nennen gern Traum und himmlisch, was verkehrt und umgekehrt. Verkehrt ist ja schon, dasz Frauen wg. „Häßlichkeit“ ewig unbefriedigt bleiben. Und verkehrt ist, dasz in Bordellen gewohnt wird. Es ist eine unbewiesene Behauptung, dasz die Autorin Bengta Bischoff hier ihren Traum aufgezeichnet hat.
Die unwahrscheinliche, aber wahre Tatsache musz am Schlusz von Abschnitt 2 stehen: Bengta Bischoff hiesz tatsächlich Bengta Bischoff. Sie ist 1909 in Hamburg geboren und starb in 1987 in Kaltenkirchen. Als Berufsbezeichnung findet sich Romanautorin (3 kleine Werke verfaszte sie) und Hausfrau. Als sie ihr zweites Buch, „Das gelbe Haus am Pinnasberg“ schrieb, war sie 60 Jahre alt.
Es erschien im Konkret-Verlag, dann bei Heyne. Fast zeitgleich der Film.
3. Gesund und Haferschleim
Weil die Hauptsache die Gesundheit ist, gehen die Frauen in das Gelbe Haus. Aus diesem Grund ist das Unternehmen steuerfrei. (S. 7) Die Frauen sprechen danach allgemein von einer Wohltat und unter eben dieser Überschrift findet sich, bezogen auf das Wohlsein der Kundin Alma Brandes aus der Paul-Roosenstrasze, sie kommt zweimal wöchentlich, der Therapie-Erfolg:
„ … wie gut, daß es den Männerpuff gibt. Ich bin meine ganzen Mitesser los.“ (S. 15)
Auch einer Dressurreiterin „mit toller Figur aber entstelltem Gesicht“ spricht von ganzheitlichem Erfolg:
„’Ach Franzl, wie wohl das immer tut. Man fühlt sich hinterher so zufrieden. Ich habe auch immer eine gute Verdauung danach.“ Sie gab ihm 25 Mark und Schokolade.“ (S. 49)
Die Besucherin Lily kam auf Empfehlung von Emma, die mit einem der Erosbrüder verehelicht war. Emma wuszte ein Heilmittel für Lilys Unruhe:
„Geh man zu den Zibellis, mein Deern. Bezahlst 25 Mark und bist deine kribbelige Unruhe los; außerdem ist es gut für Deine Durchblutung.“ (S. 58)
Eine Besucherin, die wie ein Wasserfall redete, kam gar auf höheres Geheisz:
„Hab mich doch angemeldet, Bubi. Der Arzt hat mir doch den Verkehr verordnet wegen meiner Nervosität, Schatzi. Hab extra gebadet, hahaha, in Buttermilch.“ (S. 59)
Wie die Buttermilch, so gilt auch der Hafer als gesund und stärkend. Was zu Bengta Bischoffs Zeiten noch nicht en vogue, spricht heute in vielen Kreisen für das Getreide: es enthält wenig Gluten. Entronnen der Wort-Brause einer Nervösen und Entstiegen der Sanftheit des Buttermilchbades schreiten wir von der allgemeinen Hebung der weiblichen Gesundheit durch die Ausübung eines heterosexuellen Geschlechtsaktes zur Haferschleimsuppe. Wie aber geht’s vom Stöckchen des Haferkorns zum Hölzchen des Heterosex?
Wie geht’s ist doch eine Frage, die sich vordringlich und mit fortschreitendem Alter auf die Gesundheit bezieht, daher her auch Ge-sundheit, wiewohl es im Gelben Hause um Anwendungen im Liegen geht, der Begriff Liegekur bietet sich zwar an, ist hier indes fehlplaziert, da die Plumeaus und geschmiedeten Terrassengitter – Bischoff würde spezifieren: mit Blumen-Ornamenten – der Damenwelt zu wenig aufrechte und aufregende Männlichkeit erlauben.
Der Mustermann ist braun. Beugen wir uns über sein Sekret:
„Mister Brown ist ein muskulöser, gutgebauter Neger und Frauen gegenüber äuszerst sanft. Er trug, wie alle Zibellis, am Tage bei der Arbeit einen künstlichen Pennis, der mit Haferschleimsuppe gefüllt ist und bei einem Druck am Gürtelknopf sich öffnet und etwas über die Besucherin ergießt. Diese Penisse sind von einer bekannten pharmazeutischen Firma geliefert und fühlen sich an wie rohes, hartes Fleisch. Beim Druck eines zweiten Knopfes werden sie steif und geschmeidig. Es ist eine enorme und wunderbare Erfindung für alle Puffs, Eheleute – die Kinder ablehnen und viele andere. Die Erosbrüder arbeiten nur bei gedämpfter, rot-grün(er) oder blauer Beleuchtung. Die Besucherinnen merken nichts von der Passivität ihres Partners. Diese markieren die Eruption täuschend echt. Ein Erosbruder darf nicht ohne sein Werkzeug arbeiten, wenn es rauskommt, musz er schwer blechen und wenn es öfter passiert, wird er entlassen.“ (S. 16)
Das Hafer-Haus am Pinnasberg ist das Haus der Doppel-Penisse, was zu folgenden Schluszforderungen ermutigt: den Natur-Penis gilt es zu schonen, er ist unbezahlbar und fragil. Die Kunst und die Pharmazie ist der Natur und dem rohen Fleisch überlegen. Die letzte Überlegung überragt das Werkzeug und ihre Erfinderin Bischoff: Der Phallus ist verzichtbar und mit ihm der Mann.
Auf dem Penisberg regiert ein Stellvertreter. Rundum im Reich herrscht Heteronormalismus, der Modekrankheit Spermaallergie kann begegnet werden.
4. Mord und Musik
Die Störung der perfekten umgekehrten Ordnung platzt hinein in das haus-frauliche Ideal, fabriziert von männlicher Hand.
„Die drei Raumpfleger machten schon ganz früh morgens die Vorräume (…) und die Zimmer der Erosbrüder reinigten sie, wenn dieselben zum Frühstück runtergingen. Danach (…) wurde (…) Messing geputzt und es blitzte im ganzen Haus. (…) Die Fenster wurden von Putzern gereinigt. Die Fußböden einmal in der Woche elektrisch gespänt. Im Treppenhaus wurde eingewachst und gebohnert. Teppiche und Möbel gesaugt und die Bettwäsche wurde alle 8 Tage gewechselt und die Gardinen alle 6 Wochen. Es klappte immer wie am Schnürchen.“ (S. 27)
Vielleicht so: Die Bestandteile des gelben Hauses hängen sämtlich an Schnürchen, die Putzer, die Raumpfleger, die Teppiche, die Möbel, die Textilien. Die Schnurenden sind an groszen Holzkreuzen befestigt, was eine Verknotung der Details, wozu wir auch die Lüste und den Einsatz finanzieller Mittel zu rechnen haben, von vorneherein ausschlieszt. Diese Situation nun ist weidlich beschrieben worden und auf Seiten der Erzählerin wie auch der Zuhörer entsteht der Wunsch nach einer Kugel, die in das Modell-Haus am Pinnasberg hineingeworfen werden kann. Geschichten sind immer Kugeln, die brave Kegel umhauen oder Attrapen aufstellen. Nun geraten vier der 36 im Bordell angestellten Männer, genannt Erosbrüder, in putziges Gepurzel und Treppen-Tripp-Trapp.
„Emil … wird von Hugo geliebt. Keiner kümmert sich darum. Ziebell (der Bordellchef) sagte: „Jeder muß nach seiner Facon selig werden. Hauptsache, sie bleiben normal! Schließlich kann ja jeder mit seinem Patengeschenk, dem Pennis (sic), machen, was er will.“ Nun, auch Emil umgab Hugo mit einer rührenden Zärtlichkeit, doch in letzter Zeit hatte er mehr Gefühle für Christian von der Felde im Zimmer 11. Dieser hingegen war der Schatz von Mozart.“ (S.27)
Nachzutragen ist hier, dasz das Kapitel, in dem wir uns befinden, den Titel „Die Leiche in Zimmer 11“ trägt.
Auftritt Emil …
„… mit tänzerischen Bewegungen zum wartenden Christian. Im Hause wird er Bastard genannt. Er ist 31 Jahre alt. Er trägt höhere Absätze und wackelt dauernd mit dem Popo. Bastard saß bereits lüstern auf der Coutsch und trank einen doppelten Whisky. Emil schenkte sich einen ein und setzte sich auf Bastards Schoß. Sie schäkerten miteinander und gerade, als der Höhepunkt des raffinierten Liebesspiels kam, ging die Tür auf.“ (S. 28)
Alle Lust will Ewigkeit. Alle Geschichten reiszen Türen auf. Das Epitheton „raffiniert“ kommt nicht dem heterosexuellen Akt zu.
Wir ahnen, dasz ein Leben ausgehaucht werden wird.
„Hugo stand wie versteinert auf der Schwelle und war kreideweiß im Gesicht.
„Du elender Schweinehund! Erzhalunke! Dir wird ich’s zeigen!“
Er nahm einen Brieföffner vom Schreibtisch und ehe sich Emil retten konnte, stach ihm Hugo mit voller Wucht den sehr spitzen, vergoldeten Öffner durch die Halsschlagader. Christian konnte gar nicht so schnell denken, wie das Un-glaubliche geschah. Er rannte nackend hinaus, die Treppe hinunter zum Hausmeister.“ (S. 28)
Ob Alfred Vohrer, einer der erfolgreichsten Regisseure der Nachkriegszeit, der 1970 den Film zum Buch „Das gelbe Haus am Pinnasberg“ drehte, dies Treppen-Getrappel von der Seite oder von oben gefilmt hat?
Er wird sie sich kaum hat entgehen lassen. War die Szene, von der Intensität der Bewegungen her gesehen eine der Höhepunkte, eingesetzt kurz nach dem schwulen sexuellen Höhepunkt, für Vohrer als schwulen Regisseur schwieriger? Ich stelle mir vor, dasz er zum Mittel der satirischen Überzeichnung griff, um nicht in Schwulitäten zu kommen.
Was ist mit Emil?
„Christian schrie: „Hugo, der eifersüchtige Hengst, will Emil umbringen. Komm schnell!“ Er rannte wie wild hinaus.
Ein wüstes Durcheinander war im Zimmer Nr. 11. Der zarte, mädchenhafte Emil lag leblos auf dem Teppich in einer Blutlache.“ (S. 28)
Der ebenfalls als Eros-Bruder tätige Pastor Klaudius Becker konstatiert den Tod.
Es „heult heran“ ein Peterwagen der Davidwache mit „vier jungen, kräftigen Uniformierten“. Klare Sache: Bengta Bischoff würde niemals mickrige oder weibliche Polizisten schicken. Die Polizisten finden Hugo – mit einer Wäscheleine aufgehängt in der fünften Bodenkammer.
„Die Augen traten aus den Höhlen und Gesicht und Hände waren blau.“ (S. 29)
Die Trauerfeier von Emil findet im Ohlsdorfer Krematorium statt. Auf dem Gelben Haus oder besser im Lichtkegel des Gelben Hauses, der bis Ohlsdorf reicht, ist alles verkehrt und darum richtig – der Mord lockt die Kundschaft an.
„Als der Sarg in die Tiefe ging, spielten sie Emils Lieblingslied: Junge, komm bald wieder. Werner Schmidt schluchzte furchtbar. (…) Tief bewegt gingen alle hinaus und fuhren nicht erst zu einem Umtrunk; sondern gingen gleich nach Hause. Das Geschäft muszte florieren und einige Besucherinnen warteten bereits auf den Bänken in jeder Etage. Die BILD-Zeitung hatte groß den Fall aufgebauscht mit dicken Schlagzeilen: MORD IM GELBEN HAUS! Homosexueller erdolcht seinen Geliebten in flagranti. Danach Selbstmord mit Wäscheleine!
Die Einzelheiten wurden genau ausgeführt und seitdem wußten sich die Erosbrüder vor Arbeit kaum zu retten. Neue Kundinnen kamen, viele von weit her, sogar Siebzigjährige und Schülerinnen waren dabei.“ (S.30)
Wiederum das Leitmotiv des Schnürchens: wiewohl der Suizid mit unmännlicher Gerätschaft, nämlich einer Wäscheschnur erfolgt, zieht sie Angelschnur-gleich den wirtschaftlichen Erfolg des Bordells an Land bzw. ins Haus.
Der Mord-Ort ist nur einmal Mord-Ort, aber durchgängig ein Hort der Musik. Vier Motive umfaszt das musikalische Band: Musik als Aphrodisiakum, Sex als Inspiration für Musik, Musik als gemeinsames Erlebnis der Erosbrüder und Musik als Maskulinum. In der Reihenfolge des Romans: erstens: Musik als Aphrodisiakum eines Erosbrüders.
„Leopold Ecklinger im Zimmer Nr. 2 erwartete nach dem Essen eine Schauspielschülerin, die zwar einen festen Freund hatte aus sehr gutem Hause, aber sie verkehrte nicht mit ihm, da er homosexuell veranlagt war. Sie kam schon seit zwei Jahren ins gelbe Haus und besuchte verschiedene Zibellis. Auf einen bestimmten hatte sie sich nicht festgelegt. Sie war immer heiß wie eine Hündin und liebte alle Touren in der Erotik. Poldi war ein dicker, muskulöser Rheinländer, 28 Jahre jung und er verkehrte nur bei klassischer Musik. Nur dann wurde er sinnlich und hatte Spaß am Liebesspiel. Die Besucherinnen mußten sich danach richten, er konnte sich nicht umstellen. Viele fanden großen Gefallen daran und seine Arbeitszeit war voll ausgebucht.“ (S. 22)
Auftritt einer Besucherin, undenk- und schreibbar der Name „Freierin“, über die selbstverständlich gesagt werden musz, dasz sie „nicht hübsch“ ist. Es folgt Musik und Liebes-Spiel:
„Sie zog sich splitternackt aus, stellte sich auf den Sessel und sagte den Erlkönig auf. Dann legte sie sich auf die rote Coutsch (sic), Poldi stellte sein Gerät an und es ertönte eine Mazurka von Chopin. Gretchen und Poldi verschmelzten ineinander. Seinen künstlichen Pennis benutzte er nicht diesmal, da sie nur französisch geliebt sein wollte. Bei der herrlichen Musik stöhnte sie laut und selig und Poldi war etwas mit seinen Nerven fertig, da markieren auf diese Art sehr anstrengend war. Aber die Zibellis waren auf alles eingearbeitet und es klappte letzten Endes doch immer. (…) Nun, Gretchen zog sich singend an und gab dem Leopold 25 Mark und Zigaretten. Sie küßte ihn aufs Ohrläppchen, bedankte sich und hüpfte hinaus.“ (S. 22f)
Zweitens: Musik befördert nicht nur den Akt, das Ausüben von Musik scheint auch das Verlangen nach Akten zu erhöhen. Und ist der Akt in der Oper nicht schon das Versprechen auf einen anderen?
„Professor Adolf Diek, genannt Der Eber, hatte heute vormittag sehr charmanten Besuch. Eine Opernsängerin, Lola Polapek, 42 Jahre Jahre jung. Sie stammte aus Buenos Aires und sang als Gast in Hamburg die Rolle der Carmen. Sie war Witwe und wollte nicht wieder heiraten. (…) Sie war sehr heißblütig und brauchte den Verkehr jede Nacht und so kam sie, da Professor Diek nicht im Hotel den Akt erledigen wollte, täglich ins gelbe Haus. Am Tage und zwar gleich nach der Probe. (…) Sie wurde dadurch inspiriert und ihre Durchblutung funktionierte danach besonders gut.
Sie trillerte ein paar Takte aus der Fledermaus und zog sich dabei aus.
Der Eber machte gedämpfte Beleuchtung und schnallte seinen künstlichen Pennis an. Mit einem Hechtsprung landete er über Lola und ging an die Arbeit. Er liebte sie nur musikalisch. Ihre Stimme betörte ihn und er hatte viele Schallplatten von ihr, da er zeitlich nicht in die Oper gehen konnte.“ (S. 35f)
Kommen wir in Abschnitt drei und vier nun zur Ausübung von Musik im Gelben Haus. Einmal im Monat fand daselbst eine Party statt. Der Saal war festlich dekoriert, „die Tische waren herrlich gedeckt und es gab eine Tombola in einer Ecke, eine improvisierte Bar und fünf Knutsch-Separees.“ (S.37)
Die Steigerung von Bar, Tombola und Separee ist die Live-Musik, ausgeübt von den Anwesenden. Ihr Spitzname führt sie ein:
„Mozart, Graf Rex von Ziruwitz, spielte auf dem Piano; Paganini, Pit Nioto, spielte Gitarre; Blondy, Knuth Nilsson, spielte Akkordeon; Schorschi, Georgij Mason, spielte Hammondorgel; Fakir, Ali Barujiji, spielte Flöte; Berliner, Franz Ketelsen spielte Mundharmonika Urlaubs-Vertretung, Felix Urbach, gen. Felmy, spielte Bariton-Saxophon und Pascha, Sigi David, sowie Torero, Manuel de Salvadore sangen abwechselnd und Kaktus, Georg Oppermann, brachte neue Kompositionen.
Sie waren ein harmonisches Orchester und gut eingespielt.“ (S. 37)
Viertens ist die Musik grammatisch weiblich, wesenhaft aber eher männlich, bzw. homo-heterosexuell. Eine Passage über Mozart, alias Graf Rex von Ziruwitz verdeutlicht dies:
„Graf Rex von Ziruwitz hatte ebenfalls ein modernes Piano. So konnte er üben nach Herzenslust. Beim Spielen beugte er sich immer ganz nach vorn über und manchmal ganz nach hinten zurück. Er ging ganz in seiner Musik auf. Nach Feierabend besuchte ihn regelmäßig und täglich sein Geliebter Christian. Bastard war nicht musikalisch aber sexuell verstand er sich prima mit Mozart. Der Pianör lief immer gern nackt herum im Bademantel und Christian trug Kleider, Perücke und Damenschuhe.
Er kam mit wiegenden Hüften herein und küßte Mozart auf die Wange. Er war die Frau, Mozart der Mann. Sie waren wunderbar eingespielt und Graf Rex band vor dem Akt seinen künstlichen Pennis ab. Sie verkehrten in Natura.“ (S. 60)
Musik bewegt. Warum heiszt der Pianist nicht Pianör? Der Pianör im Bademantel ist nicht Udo Jürgens, der Assoziation entkam Bengta Bischoff selbst nicht. Eine Seite zuvor blicken wir in eine andere Arbeitswelt:
„Schorschi hatte auch ein Kleinklavier in seinem Appartmentzimmer. Klein und mollig saß er an seinem Piano und spielte Mercy-mercy-mercy! Dabei wollte er Udo Jürgens seelenvolle Stimme und Ausdrucksweise nachmachen, aber er näselte sehr und er konnte seinen Ton auch nie lange anhalten, dann fing er an zu husten.“ (S. 59)
Der Graf, der Pianör ist, unterscheidet sich durch das doppelte Glied, den abnehmbaren Zweit-Pen(n)is von normalen Klavierspielern.
Er verkehrt in Natura und produziert Kunst. Die Autorin, Spezialistin des verkehrten Verkehrs, hat einmal um den ganzen Pinasberg herumgeschrieben und am Weg grosze Gestalten, wie „ … die lüsterne Petra (die) saß breitbeinig da und trank einen Cocktail nach dem anderen.“ (S.41) und 36 Liebesbereite Männer; Lesende sind Voyeure, die weibl. Form fehlt hier. Wir Lesende lieben lüsterne Stellen, die Bücher klappen bald von allein an ihnen auf, spreizen ihre papierenen Schenkel willig dort, wo es uns nach Wiederholungen verlangt. Am Fusz des Berges sind die Stellen, ein Wort, das zwischen zwei trockene Pausen gestellt wird, die ausgetretenen Wegmeter. Und dort, bei dem Löwenzahn-Büschel, ist das nicht ein Spritzer Haferschleimsuppe? Aber wie liesze sich hier nun das Ausgelassene im Sinne von Ausgespartem, das letztlich doch nur Folgerichtige sichtbar machen? Bengta Bischoff fand keine Worte hierfür. Statt Stelle nur Leerstelle. L.L. wie Leerstelle.
Dafür am Schlusz schnell noch ein lila Licht anzünden. Ein letzter Blick: Gelb glüht das Haus am Hang. Wir haben genug gesehen.