Geld

Weltspartag

Absurdität WELTSPARTAG – eine Einrichtung für Frauen und Kinder. Blick zurück: Das Sparen ist ein groszes Projekt, ganzheitlicher als der geile Geiz der nächsten Jahrhundertwende. Praktische Tipps zum Sparen aus einer gut hundert Jahre alten Broschüre, Bankenrettungen von 2011 und ein Mord in der Hamburger Hafencity, das ist ein Tag im Leben des Weltspartags.

Weltspartag

Der Tag begann mit einem Brot, in das Eicheln und Bucheckern, vielleicht auch Sägespane hineingebacken waren, er begann mit dem Kreuz, das die Mutter hineinritzte und das nichts half, er begann mit einer Pappschachtel, in dem ein verschrumpeltes Kind lag, er begann mit bedrucktem Papier, das im Flechtkorb den Platz der Wäsche eingenommen hatte, mit dem man über das Pflaster hastete, von Fabrik oder Büro zum Lebensmittelgeschäft. Geheizt wurde mit dem Papier.
Überall erfanden die Stadtkämmerer regionales Geld, manchmal war es hübsch bestickt und spielte so mit der Erinnerung an wirkliches Geld. Briketts oder Butter waren Zahlungsmittel. Die auf dem Land haben es gut, sagten die Städter. Die Beamten haben es gut, sagten die Angestellten, sie oder andere sagten: die Spekulanten, die Kriegsgewinnler, die Siegermächte.

Das ist der frühe Morgen des Weltspartages.  Da setzten Ende Oktober 1924 in Mailand beim Ersten Internationalen Sparkassenkongresz, veranstaltet von der Cassa di Risparmio delle Provincie Lombarde, Sparkassenvertreter aus 29 Ländern, „aller Kulturländer“, die grosze Goldblechtröte an ihre Sparkassenvertreterlippen: Vertraut uns! (Die Hyperinflation ist grad überwunden.) Hallo, hallo liebe Leute, Bringt uns wieder Euern Zaster, spart in der Not, habt Ihr in der Zeit etc.pp. (Ohne Geldinstitut und also ohne Zinsen ist es blosz „Horten“.) Der Weltspartag ist geboren und seither wird immer Ende Oktober der Weltspartag begangen. Die Institute schmücken die Schalter und verteilen Sparschweine, Plüschtiere und andere kleinkindliche Dinge zur Kundenfrühbindung. Obwohl das Wort WELTSPARTAG doch wörtlich meint: Wenig Welt, Welt-Entziehung oder, modern, Ich nehm sie Dir. (Vergleiche auch „Weltanschauung“, sich die Welt anschauen, eine Anschauung gewinnen.)
Mit dem Geld schwinden die Sinne, vielen sind sie schlieszlich schon geschwunden und der Kassensturz des Reiches schlug ihnen auf den Kopf, machte sie, bevor die Sanitär- oder Elektroindustrie drauf kam, selbst zu Spartasten. Vier Jahre lang hatte ein teures Morden und Materialvernichten stattgefunden – übrigens nicht daheim – die Preise stiegen schon 1915. Dazu: Kriegsanleihen, Schatzanleihen, „Gold geb ich für Eisen“ – und Du kriegst Papier. 680 Millionen Mark ein Kilo Brot im Oktober 1923, an Brotessern bleibt so was haften wie angebrannter Brei.

Sparsam-Buch

 

Erklären wir das Jahrhundert zum Tag, beginnt der Tag auch im Milieu der Frau Kommerzienrätin, der Frau Pastorin, der Frau Professor, die sich den Titel vom Manne borgen dürfen und mehr scheinen müssen, als sie blechen können. Sparsam-sein ist ihr Panier und ihre Zier: „Sei Sparsam! Dieses Donnerwort trifft die arme geplagte Hausfrau auf ihrem ganzen Lebensweg. Sei sparsam! Sprach einst die Mutter und jetzt der Gatte. Sei sparsam mahnen die immer gröszer werdenden Ansprüche, die heranwachsenden Kinder. Sei sparsam! Ruft alles, und die arme geplagte Hausfrau weiß gar nicht mehr, wo sie vor lauter „Sparsamkeit“ hin soll.“ So beginnt ein „Praktischer Ratgeber für sorgsame Hausfrauen“ von 1906. Autorin Anny Wothe stellt als erstes klar, dasz es nicht um ersparte Summen, um das Was geht, sondern um das Wie. Es ist, so schlieszen wir, Kunst und oder Wissenschaft, das Sparen nach Anny Wothe. Kein Sport. Hier ein Beispiel für falsches Sparen:

„Um 50 Pfennige zu sparen, läuft die Hausfrau, weil der Kaffee bei Meyer und Müller billiger ist als anderswo, in Wind und Regen durch die halbe Stadt, um, nachdem sie sich nasse Füße geholt, die ihr einen tüchtigen Schnupfen einbringen, schließlich die Pferdebahn zu benutzen, wodurch die Hälfte des Verdienstes verloren geht. Todmüde kommt sie zu Hause an, Mann und Kinder sind ungeduldig und warten auf das Abendbrot, das sie hastig und aufgeregt zubereitet, wodurch es ungenießbar wird. Was hat sie nun für die noch bleibenden 25 Pfennige erreicht? Verdruß und Ärger die Menge, denn der Gatte ist durch ihr Ausbleiben und das schlechte Abendbrot verstimmt, die Kinder sind unartig und verdrießlich.“ Nein, so wollen wir nicht „sparen“.

Daseinszweck der Hausfrau ist das Sparen, doch ihre eigene Substanz darf sie nicht sparen, sie musz sich selbst verschenken, verströmen, versöhnen etc.pp.
Auf das Vorwort folgt das gereimte Motto des Sparbuchs:
„Sei sparsam, – ja, mit Lüge und Haß,
und rühre die fleißigen Hände,
und spar, und spar ohne Unterlass,
nur Liebe und Güte – verschwende!“

Es ist ein groszes Projekt, es ist ganzheitlicher als der geile Geiz der nächsten Jahrhundertwende. „Das kostbarste Gut einer sparsamen Hausfrau ist die Zeit. Eine versäumte Stunde fehlt der Hausfrau den ganzen Tag und macht sich fortwährend unliebsam bemerkbar. Ein wohleingerichteter Haushalt gleicht einem gutgehendem Uhrwerk, dessen Räder alle ineinandergreifen und dessen Haupttriebfeder die Hausfrau ist.“ Zum mechanischen Organismus zählt auch das Personal: „Die Dienstboten seien immer beschäftigt. Gibt es am Nachmittag keine Hausarbeit mehr zu tun, so gebe man ihnen Ausbesserungen. Nichts verdirbt Dienstboten mehr, als wenn sie zu viel freie Zeit haben, sich aus den Küchenfenstern über Höfe weg mit anderen Mädchen unterhalten oder gar auf den Treppen oder vor der Haustür Gespräche führen. Man gebe dem Mädchen jedoch auch Zeit, seine Sachen instandzuhalten und sonntags einige Ausgangsstunden, denn ein Mädchen, das das Wohlwollen seiner Herrin empfindet, wird immer dienstbereit und willig sein.“

Kommen wir abschlieszend, den Reigen der weibs-bürgerlichen Sparsamkeitskultur, und woanders gedeiht sie kaum, schlieszend, zum Volkskörper und zur Schnittstelle Ökologie, Recycling und Wiedervorlage. Aus dem Kapitel Hülsenfrüchte: „Unser Körper enthält viel Eiweißstoff; deshalb müssen wir auch ziemlich viel Eiweiß genießen, um die abgenützten Teile wiederzuersetzen und uns zu körperlicher und geistiger Arbeit leistungsfähig zu erhalten. Der Haupt-Repräsentant der eiweißhaltigen Nahrungsmittel ist das Fleisch. Es hat aber heute einen so hohen Preis, daß viele Hausfrauen, die nicht blind in den Tag hineinwirtschaften, genötigt sind, sich nach billigerem Ersatz umzusehen. Manche greifen zu Stockfisch und Hering, Leber, Lunge und dergleichen. Andere wieder wählen Hülsenfrüchte, und ihre Wahl ist nicht die schlechteste. Erbsen, Bohnen und Linsen sind fast so nahrhaft wie gutes Fleisch. Ihr Eiweiß geht wie beim Fleisch vollständig ins Blut über. Deshalb ist ein Mittagsessen mit richtig gekochten Hülsenfrüchten und etwas Fett ebenso nahrhaft wie ein solches mit Braten und Gemüsen. Unsere Vorfahren, die alten Deutschen, dankten ihre Riesenkraft hauptsächlich den Hülsenfrüchten. Was aber die Wahl von Hülsenfrüchten noch besonders vorteilhaft macht, ist der billige Preis.“

Die Uhr schlägt elf und treffen sich drei Damen auf braunem Linoleum, Sackleinen schimmert hindurch, das Korridorlicht reicht zwei Treppen lang. (Ihre Herren sehen das nicht gern, aber sie sehen es nicht, denn sie hantieren gerade mit groszen Summen, mit Weltwissen, mit Ärmelschonern.) Die Damen heiszen Karg, Knauser und Spärlich. Ihre Attribute sind die Erbswurst, der Sparherd, der Notgroschen. Ein knapper Nachruf auf sie, denn als die Zeiger weiter ruckten, fielen sie von der Zeitscheibe. Liebe Hausfrauen, tapfre Kriegerinnen des Mangels, Dekorateurinnen der Armut und Aspirantinnen besserer Stände – es ist alles mit Euch untergegangen. Abzugeben hattet Ihr in Wahrheit nichts. Die ganzen Grenzen, an denen Ihr wachtet, mit falschem Hasen und echtem Opfersinn, sind geschleift, die Ordnung dahin. Und das Donnerwort Sparen liegt beim Knüppel beim Hund. Musz ich mehr sagen? Sehen Sie nicht, wie jemand den Korridor mit Fleischteilen der Wochenenddiscounter-Anzeigen tapeziert hat, wie Spott und Sport Eure Disziplin usurpiert hat? Wie Avaritia, der Geiz, übernommen hat, maszlos wie alle Sünden. Wie Euer Werktags-Brotbelag, die Margarine, inzwischen als Light- und Lifestyle-Pampe reinkarniert wurde? Der Mund, von dem Ihr uns abspartet, ist nun endgültig gestopft.

Sparen

 

Um zwölf Uhr wird die Bank gesprengt.
Die Zahl 12 (vgl. Geisterstunde) soll hier einen Hinweis geben auf das Schaurige und Wirklichkeitseinsaugende des Ereignisses. Keine Panzerknacker, keine Occupy-Zelte, keine Soldaten weit-und-breit. Wenn das Subversive im Kern des Systems lebt, speit letzteres ersteres dann und wann aus. Gemeint ist die Zinsrechnung. Zu dem vielen reinen und schönen Schulwissen, an dem sich die Wirklichkeit einmal Beispiel nehmen sollte, gehört die Zinsrechnung. Hanne, Franz und Wilhelmine: rechnet einmal aus, was 100 Mark, im Jahre 1900 aufs Sparbuch gebracht, im Jahre 2000 ergeben, Zins und Zinseszins, die Formeln finden Sie in Ihren Lehrbüchern.
Da rauchte es tüchtig und es waren nicht die Pennälerköpfe, es brannten die Banken und Währungen, die Schlachten und Niederlagen. In der Wirklichkeit der Schulbänke aber sprengen die Zinsen nebst Zinseszinsen die Banken. Im Sparbuch, längst zur Chipcard profaniert, stand die kühne Behauptung Sparen schafft Vermögen und Wohlstand. Mit Zinsen (von lat. Census, Vermögensschätzung, Besitz etc. im Gegensatz zu Sparen, von althochdeutsch sparon) wird noch immer gerechnet, die Sparbuch-Zinsen liegen heute bei 0,5 Prozent, die Inflationsrate bei 2,5 Prozent. Die Nichtsparer-Quote in Deutschland bei gut 14 Prozent. Sparkassen bekümmert das. Sie ringen mit sich und uns und gehen notfalls vor Gericht, um die Sparzinsen einzubehalten – mediale Aufmerksam-keit erhielt der Fall eines Sparbuches, das ein Vater vor 52 Jahren bei der Dresdner Bank in Solingen für seinen Sohn angelegt hatte. Der wuszte nichts von der Existenz und fand es im Nachlasz der Mutter. Nur einen Eintrag und zwei Unterschriften enthält das rote Büchlein: 106.000 Mark. Ein Betrag, der sich bis heute versechsfacht haben müszte. Der Sparersohn muszte klagen. Die Bank bestritt zunächst begründungslos die Echtheit des Buches. Als Sachverständige die Echtheit bestätigten, bestritt die Bank, inzwischen die Commerzbank, dasz die ausstellenden Personen jemals für die Bank gearbeitet hätten. Das OLG Frankfurt entschied, dasz die Bank für diese Behauptung beweispflichtig sei. Die Forderung sei nicht verjährt, auch wenn bankseitig keine Unterlagen mehr existierten. Das Verfahren dauerte drei Jahre. Die Bank musz Guthaben nebst Zinsen auszahlen.
P.S. Übrigens war die Commerzbank 2009 mit fast 18 Mrd. Steuer-Euros gerettet worden.
Ein kl. Scherflein im Vergleich zu den 5000 Milliarden Dollar, die 2008/ 2009 nach dem Kollaps der Hypo Real Estate von den Regierungen aufgebracht wurden. (Über 40mal so viel wie für Armutsbekämpfung und Klimaschutz.)

Nun sind die Zeiger unserer Weltspartagsuhr auf 15 Uhr vorgerückt. Höchste Zeit für die revolutionär neue Interpretation des SPARENS. Neuerdings meint Sparen Umverteilen. Da stellt man sich am besten eine schiefe Ebene vor; das Geld kullert, flieszt, strömt herab, nein, es ist anders herum, es wird herauf gepumpt, von unten nach oben. Sparen in der Not, namentlich der Finanznot, bedeutet Renten- und Einkommenskürzung und Steuererhöhung etc.pp. Staaten sehen sich gezwungen, so zu handeln, da sie so Bankenrettungen legitimieren, imgrunde sind sie zu Kapitalgebern von Banken und Konzernen herabgesunken. Überdies ist das private Kapital derart gewachsen, dasz die Renditeströme zwangsläufig ansteigen und nicht mehr durch die Realwirtschaft, sondern nur mehr durch eine von der realen Warenproduktion abgekoppelte Finanzwirtschaft abgedeckt werden können. Der Primärhandel, d.h. der Kauf und Verkauf von frischen Aktien, macht an den Börsen weniger als 1 Prozent der Umsätze aus. Der Rest ist Spekulation. Die Herrschaft des Nichts, geboren aus dem Glauben an unendliches Wachstum. In der Finanzkrise wird dann gierig nach Sachwerten gesucht, Immobilienblasen und Ausverkauf von staatlichem Eigentum in Verbindung mit staatlichen Verlustabsicherungen sind die Folgen. Ideen, die sich in der Hafencity materialisieren. (Bewegungen, die in der Hafencity einen Ruheplatz finden.)

Um 18 Uhr der abschlieszende Mord vor erhabener Hafencity-Kulisse. Die leeren und bleichstrahlenden Bürotürme gehören zum Schönsten, das die Stadt zu bieten hat, ein urbaner Sunset,  ein postmodernes Märchen auf inwertgesetzter Industriebrache. Um 18 Uhr findet dort ein Mord seinen Ort, symbolisch wie das dasige Leben. Der letzte macht das Licht aus. Das Tatwerkzeug ist die Metapher des Gürtels, vgl. Enger-Schnallen, den der Täter wörtlich und beim Leder nahm und irgendwen falsches, einen Touristen beispielsweise, damit ermordete. In dieser Geschichte hat es aber immer und grundsätzlich die Falschen erwischt.

Ende