Die Feministin und Prostituierte Ellen Templin (geboren 1948 in Ingolstadt, gestorben in Berlin 2010) wurde nur 62 Jahre alt. Ich hatte das Glück, sie ein paar Jahre zu kennen, Anlasz war die Ausstellung „Sexarbeit“ im Hamburger Museum der Arbeit im Jahr 2005. Wir beide lehnten die Normalisierungstendenz, den Voyeurismus und die Ignoranz gegenüber Gewalt- und Machtverhältnissen betr. Prostitution ab. Zur Erinnerung an Ellen Templin hier die Rede, die ich bei ihrer Beerdigung halten durfte. Ellen Templins Grab ist auf dem Ohlsdorfer Friedhof im „Garten der Frauen“.
Liebe Gisela,
liebe Freundinnen und Freunde,
meine ganz persönliche Vision, meine Idee vom besseren Jenseits der Ellen Templin ist die: feinste Düfte („aufregend“ nannte sie es einmal in der Parfümerieabteilung des Alsterhauses), die Kleidung könnte von Gudrun Sjöden entworfen sein, jedenfalls ist sie bunt oder naturfarben, genauso lässig wie elegant, was an den Trägerinnen und an den Kleidern liegt, mit Klunkern und Garfunkel-steinen geschmückt, lagert frau auf leopardengemusterten Kissen, wobei der Ort kein provinzlich abgeschiedener ist, urban und belebt ist er. Auch in diesem irdischen/erbärmlichen Leben nahm Ellen gern ein Getränk zu sich, wo Blicke flanieren konnten, an Orten die halbdurchlässig, halbgeschlossen, von sanfter Anonymität und ausgeklügelter Lichttechnik sind wie etwa Shopping Malls. Ganz klar ist in dieser Besseren Welt der Alterungsprozesz und die Schwerkraft der Körper aufgehoben – und es schnippelt selbstverständlich niemand an den Frauen herum. Männer kann ich auf den ersten Blick gar nicht sehen in diesem bessren Jenseits, dem Privat-Paradies.
Was fehlt noch? Fische. Die ja bekanntlich zuerst da waren. Kleine Fischchen, die zart und zäh an den Füssen knabbern, sie weich und wohl fühlen lassen. „Knabberfische“, nach ihrer anatolischen Hochland-Heimat Kangal-Fische genannt, sind die besten Pedikeure, die’s gibt. Ferner sehen wir noch Fische in Sushi-Form, begleitet von gesundem Reis und scharfem grünen Zeugs. Dazu gibt es Cola Light. An Tieren sehen wir noch kleine Hunde, Möpse, wir haben die ganze Zeit ihr beruhigendes Schnaufen gehört, mit Untertassen-groszen Augen die Chihuahuas, immer mal wieder zitternd und fiepend und eine verständnisvolle Tierärztin mit psycho-therapeutischer Zusatzausbildung ist auch immer zugegen. Schlieszlich blühen auch die Neurosen – „meine Hunde sind genauso neurotisch wie ich“, pflegte Ellen zu sagen.
Alles ist im Gleichgewicht, perfekt, alle lachen – und wie erklären wir uns das? Sie lesen. Sie lesen Bücher, keine Klatschblätter oder gezuckerten Romane, und das ist wohl gar nicht der Rede wert, wenn ich nicht buchstabieren könnte, was Ellen da liest. Es sind Bücher über Zwangsprostitution und sexuelle Gewalt.
Hier auf den imaginären Wolken verbietet sich die Frage nach dem Grund der Lektüre.
Ellen hat nicht an den Himmel geglaubt, ich auch nicht. Sie hat nicht daran geglaubt, weil sie von dem Ort, an dem der Himmel gedacht wird, zuviel wuszte. Wenn sie vom Tod sprach, sagte sie stets: „Wenn ich mal das Arschloch zukneife.“ Ich verkniff mir dazu immer jede Entgegnung. Wenn ich mir ihren Tod vorstellte – ich tat das tatsächlich, ich möchte fast um Verzeihung bitten darum – tauchten immer gewalttätige Bilder auf. Wir haben, in Berlin, in ihrem Geschäft, über das aus dem Leben gehen gesprochen.
Doch der wahre Grund meiner Nicht-Kommentierung ist wahrschein-lich der, dasz ich mir über die Jahre unserer Bekanntschaft, aus der eine scheue und auch schwierige Freundschaft wurde, immer wieder die Frage stellte, wie sie überhaupt leben konnte, was sie überhaupt dazu in die Lage versetzte, dies/ ihr Leben auszuhalten.
Ich kannte Ellen – übrigens siezten wir einander, plumpe Vertraulichkeiten gibt es schon genug – nur sehr ausschnittweise, sehr viel weisz ich gar nicht, werde ich nie wissen. Wahrscheinlich gab es vielen Ellens – ich weisz grad gar nicht, ob sie mir ein Photo gezeigt hat von ihrer New York-Reise mit Freund, oder ob es nur meine Vorstellung war, der blonde Pagenkopf mit groszer Sonnenbrille, dahinter das Empire State Building und obwohl der Wind in ihren Schopf greift, hat es etwas Statuarisches. Bestimmt stand ihr New York – so wie ihr immer alle Klamotten standen. „Mein Fluch“ sprach sie.
Ellen war eine Frau ungeheurer Vitalität und Stärke. Sie war sehr mutig. Sie kämpfte immer. Auch gegen ihre Diabetes. Ihre Radikalität nötigte mir Bewunderung ab, manchmal auch Ratlosigkeit, ihre Radikalität schuf Nähe wie Distanz. Der tiefe Grund für ihren feministischen Kampf war neben Verletzlichkeit und erlittenen Verletzungen ein ganz starkes Gefühl für Würde und Gerechtigkeit. Das war ein Lebensmotiv und bestimmt gab und nahm es ihr Kraft. So ein Kopf im Himmel. Sie war eine zornige Frau – was Frauen ja überhaupt nicht zugestanden wird. Wenn, dann haben sie ihn gefälligst zu veredeln oder in sich rein zu fressen. Ich meine jetzt nicht ihren Beruf als Domina – sie hat vor Jahrzehnten erkannt, dasz es die Rolle der Domina ist, eben genau das zu tun, was der Mann will. Sie kämpfte für die körperliche Unversehrtheit von Frauen, für Achtung und Respekt – und war zutiefst davon überzeugt, dasz alle sie verachteten. Sie war sehr groszzügig, ich erlebte sie so, (das ist auch nicht immer einfach), und sie sehnte sich nach Zuwendung und Freundschaft – „Beste Freundin gesucht“ hatte sie im letzten Jahr inseriert. Man stirbt über der Sehnsucht danach, irgendwo las ich das und es fiel mir ein.
Ihr Kampf galt einem zentralen patriarchalen Mythos, dem von der Freiwilligkeit der Prostitution. Ihr Traum waren starke Frauen, die keine Drogen nehmen müssen und Schutz für Frauen. Und ein Verbot der Prostitution. Schwedische Verhältnisse. Auf den Einwand: dann geht’s in die Illegalität pflegte sie zu entgegnen: Mord ist schlieszlich auch verboten.
Und so hatte sie doch eine Vorstellung vom Paradies.
Wahrscheinlich liegt hier die Unwegsamkeit wenn nicht Ausweglosigkeit, theoretisch zumindest. Wer Frauen oder Kinder schützen will und von Unrecht spricht, spricht von Opfern und von diesem Ort aus läszt es sich nicht sprechen. Opfer sind sinnlos. Sind Objekte und werden verachtet. (Erinnert wird natürlich auch an sie.) Ellen selbst verweigerte und akzeptierte diese Rolle des Opfers.
Ellen war eine glänzende Schreiberin und eine grosze Moralistin. Wer zur Prostitution schweige, wer zum Miszbrauch schweige, mache sich mitschuldig, davon war sie überzeugt.
Sie konnte nicht stolz sein auf ihren Laden, auf das Studio. Ich hatte mich da getäuscht. „Eine schmutzige Sache sauber verkaufen“ war ihr Motto – aber die Verkäuferin ändert die Ware nicht. Die Ware ändert die Verkäuferin, weil für den Käufer die Verkäuferin die Ware ist. (Aber lassen wir diesen Gedanken ziehen.)
Es war schwer, sie zu loben, ihr etwas zu geben – und sie sehnte sich so danach. Manchmal muszte ich an die Dietrich denken. Über die wuszte sie alles, wie auch über Michael Jackson, über Domenica, über Zwangsprostitution im Konzentrationslager. Obwohl sie das Wort „Hausfrau“ haszte, hatte sie sich doch, wie die Dietrich, die gern putzte, kochte und räumte eine beruhigende Rückzugswelt geschaffen, mit Glamour, Stil und Kitsch. Aber noch lieber ging sie aus.
Hier im Garten der Frauen waren wir im vorletzten Sommer zusammen mit Emily, einer jungen Frau und Freundin aus dem Studio. Ich glaube, Ellen wollte nicht photographiert werden (eben wieder wie die Dietrich), denn ich habe von ihr keine Aufnahme gemacht, nur von Emily und dem kl. Hund Pauli und dem Grabstein mit Baumratte von Dr. Erna Mohr, der Zoologin.
Ich hatte mir Ellen, Emily und auch Pauli vorher nicht in einem Park-Garten-Natur-Umfeld vorstellen können, das fiel mir auf, als sich die beiden dort sichtlich wohlfühlten. (Auch immer wieder über das dreckige und verkommene Berlin schimpften.) Domenica war gerade beigesetzt worden, es lagen frische Rosen und ich habe bestimmt erzählt, dasz der Garten der Frauen 2001 gegründet wurde, dasz Rita Bake eine der Initatorinnen und Organisatorinnen war. Und wir – Birgit, Hedwig und bestimmt viele andere – sind sehr dankbar, dasz Rita es möglich gemacht hat, Ellen in diesem Garten aufzunehmen. Ganz groszartig finde ich, dasz Gisela, Ellens grosze Schwester, sich im Telefonat mit Hedwig spontan bereit erklärt hat, Ellens Wunsch umzusetzen. Und sie kannte weder Hedwig, noch den Garten der Frauen – und zur Schwester war der Kontaktfaden vor vielen Jahren gerissen.
Bestimmt habe ich als Berufsgeschichtsplauderin damals im Sommer auch erzählt, dasz der Garten der Frauen einerseits Erinnerungsort ist für Frauen – und Ellen und Emily brauchte ich das nicht zu erklären wie dem dummen Volk, mit dem frau’s sonst so oft zu tun hat. Und dasz der Garten der Frauen als Gemeinschaftsgrab in der Tradition der alten Genossenschaftsgräber steht. Und die waren für Ämter (also Zünfte) oder Bruderschaften – also für Kerle allesamt, die aber posthum nicht ohne Frauen sein konnten, ja, wie’s so ist und jetzt, seit zehn Jahren ist’s endlich anders. Hier ruhen Frauen in einer Gemeinschaft und es tut nichts, ob sie einander kannten, überhaupt kennen konnten oder welche Liebe, welchen Hasz, welche Hobbys sie pflegten.
„Man stirbt über der Sehnsucht danach“ sagte ich und man stirbt mit ihr und die Sehnsucht nach einem Gemeinsamen und nach einem Ende der Miszachtung hat auch zu diesem Platz, diesem Garten geführt. Also sind wir wieder beim Paradies, das heiszt ja bekanntlich Garten (pers.,griech.,lat.), angelangt.
Wir hören jetzt noch einmal Michael Jackson, übrigens hatte Ellen in ihrer Schöneberger Küche einen beweglichen, also einen hampelnden Michael Jackson hängen und ich möchte Euch bitten, danach nach vorne zu kommen und die rote Urne mit Ellens Asche in die Mitte zu nehmen. Wiebke.johannsen@hamburg.de Februar 2011